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Ausflug & Reise

Von wegen Pensionopolis

Görlitz und Zgorzelec zeigen früheren Wohlstand und heutige Lebendigkeit

  Von wegen Pensionopolis | Görlitz und Zgorzelec zeigen früheren Wohlstand und heutige Lebendigkeit

Pensionopolis – dieser Begriff städtischer Entwicklungspolitik ist schon seit dem 19. Jahrhundert gebräuchlich. Er beschreibt das Ziel, Pensionärinnen und Pensionäre zur Ansiedlung in Städte zu locken. Vor dem Hintergrund des demografischen Wandels griff die Stadt Görlitz diese Strategie in jüngerer Vergangenheit wieder auf, um Zuzug anzuregen. Außerdem zieht die Hochschulstadt Tausende Studierende an und auch mit Blick auf den Tourismus ist Görlitz längst kein Geheimtipp mehr. Es liegt etwa 220 Kilometer östlich von Leipzig, die Zugfahrt dauert etwa dreieinhalb Stunden.


Die heute sächsische Stadt erlebte eine wechselvolle Geschichte. Eine erste Blütezeit gab es im späten 15. Jahrhundert unter dem ungarischen König Matthias Corvinus. Schon ab dem 14. Jahrhundert profitierte Görlitz vom Stapelrecht und den daraus resultierenden Zöllen für die Färberpflanze Waid. Sie erzeugt die Farbe Indigo, die vor allem für Textilien verwendet wurde. Stapelrecht bedeutet, dass durchreisende Kaufleute unter anderem das wertvolle Waid auf dem Görlitzer Markt feilbieten mussten. Mit der wunderbaren Farbe entwickelte sich auch das Textilgewerbe – Waid verlor jedoch seine Bedeutung im 17. Jahrhundert, als Indigo aus dem namengebenden Indien importiert wurde. Auch Görlitz’ Recht zum hoheitlichen Münzregal – Währung bestimmen, Münzen prägen und die Gewinne daraus nutzen – trug zum außerordentlichen Reichtum der mittelalterlichen, an der Via Regia gelegenen Handelsstadt bei. Die spätgotischen und die Renaissance-Bauten, die im Stadtzentrum zu sehen sind, zeugen noch heute vom Wohlstand des späten 15. Jahrhunderts. Seit 1815 gehörte Görlitz zur preußischen Provinz Schlesien. Diese Identität der Stadt drückt sich noch heute vor allem kulinarisch aus: Auf einigen Speisekarten stehen schlesische Spezialitäten wie Mohnpielen – süße Mohnklöße.
Seit 1945 teilt die Neiße den Ort in zwei Hälften, der polnische Teil heißt Zgorzelec. Einen Tag vor Kriegsende zerstörte die Wehrmacht sämtliche Brücken in der Stadt. Dadurch konnten Kontakte zwischen den Nachbarn nur schwer gehalten oder geknüpft werden, auch wenn der Auto- und Eisenbahnverkehr nach dem Wiederaufbau einzelner Brücken möglich war. Die Stadthälften sind seit 2004 wieder durch eine Fußgängerbrücke verbunden, die anstelle der gesprengten Altstadtbrücke errichtet wurde. Beide Stadtteile tragen heute den Beinamen Europastadt und stehen damit für die Verbindung zwischen Deutschland und Polen.

Glücklicherweise überstand das Stadtbild den Zweiten Weltkrieg fast ohne Beschädigungen, und so besitzt Görlitz eine sehr gut erhaltene, wunderschöne historische Altstadt mit rund 4.000 Denkmälern. Deshalb war sie schon derart oft Filmkulisse, dass die Stadt inzwischen auch »Görliwood« genannt wird und die Bevölkerung im Statistendasein routiniert ist. Im Alten Kaufhaus am Demianiplatz etwa fand Wes Anderson für seinen Film »Grand Budapest Hotel« den perfekten Hintergrund – bis 2009 war das Jugendstildenkmal noch ein Warenhaus.
Der Obermarkt ist einer der größeren Plätze von Görlitz und verbindet die überwiegend gründerzeitlich geprägte Innenstadt mit der historischen Altstadt. Am Untermarkt beeindrucken die Bürgerhäuser aus der Renaissance mit ihren hohen Giebeln und Laubengängen. Zu entdecken gibt es in der Nähe des Untermarktes, im Kellergewölbe der Nikolaistraße 5/6, eine Mikwe, ein jüdisches Bad. Ihre Entstehung wird auf das 14. Jahrhundert datiert, als sich jüdische Siedlerinnen und Siedler dort niederließen. Die 1911 erbaute Synagoge überstand die Pogromnacht. Die Feuerwehr rückte rechtzeitig aus, um den Brand zu löschen, über die genauen Umstände der Rettung kann heute nur spekuliert werden. Nach der aufwendigen Sanierung seit den neunziger Jahren wurde sie 2021 als Kulturforum Görlitzer Synagoge wiedereröffnet.
In Zgorzelec haben sich entlang des Flusses Cafés und Restaurants etabliert. Unweit von dort liegt der Park Zgorzelec mit einem imposanten Kulturhaus aus dem Jahr 1903. Dort ist ein polenweit bekanntes Mandolinenorchester ansässig, im Kaiser-Friedrich-Museum befindet sich eine Kunstsammlung und es werden viele kulturelle Projekte verwirklicht. Höhepunkt der Stadt Görlitz in den Sommermonaten ist neben dem Fokus- und Überlandfestival das Straßentheaterfestival Via-Thea, das sich unter anderem auf den deutsch-polnischen Austausch fokussiert. 

> Schlesischer Christkindelmarkt in Görlitz, mit Kultur- und Begleitprogramm: 2.–18.12.


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