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Stadtleben

»Anscheinend gibt uns die Schule nicht das, was wir brauchen«

Amy Kirchhoff, Vorsitzende des Landesschülerrates Sachsen, über die Ergebnisse der Pisa-Studie

  »Anscheinend gibt uns die Schule nicht das, was wir brauchen« | Amy Kirchhoff, Vorsitzende des Landesschülerrates Sachsen, über die Ergebnisse der Pisa-Studie  Foto: Privat

Wie haben Sie beim Landesschülerrat auf die Ergebnisse der Pisa-Studie reagiert?

Wie für viele andere bildungspolitisch aktive Menschen waren die Ergebnisse erst mal keine große Überraschung. Was uns schockiert hat, ist die große Differenz zwischen Menschen mit und ohne Migrationshintergrund.


Wo sehen Sie Gründe für dieses Ergebnis?

Ein großer Punkt ist die Coronazeit und das Homeschooling. Das haben einige Schülerinnen und Schüler gut bewältigt. Der Großteil hat aber stark darunter gelitten. Dazu kommen der Lehrkräftemangel und ein sehr voller Lehrplan. Deswegen fordern wir, Teile des Corona-Aufholprogramm weiterzuführen, ebenso wie kostenlose Nachhilfeangebote zu schaffen. Um die ganzen Grundlagen aufholen zu können, brauchen wir unbedingt weniger Unterrichtsinhalte in späteren Klassen. Ein weiterer Punkt ist die Zufriedenheit der Schülerinnen und Schüler. Etwa 22 Prozent haben angegeben, dass sie sich in ihrem Leben nicht besonders wohlfühlen. Jugendliche verbringen jeden Tag fast acht Stunden in der Schule. Sie hat sehr viel Einfluss auf das Gesamtwohlbefinden und die mentale Gesundheit. Schulpsychologie und vor allem Schulsozialarbeit müssen daher unbedingt ausgebaut werden.


Welche Gefühle lösen solche Ergebnisse bei Schülerinnen und Schülern aus?

Ich persönlich bin enttäuscht, wie wenig am Ende des Tages passiert. Man hat viel Verständnis. Aber man fühlt sich auch ein bisschen dumm, wenn man den Vergleich zwischen den Nationen sieht und merkt: Wir schneiden nicht gut ab und anscheinend waren die Schüler früher schlauer. Man fragt sich: Was machen wir denn auch als Schülerinnen falsch? Dann kommt man zu dem Schluss: Wir können ja nur das machen, was uns die Schule gibt. Und anscheinend gibt sie uns nicht das, was wir brauchen.


Könnte das die hohe Unzufriedenheit begründen?

Schülerinnen und Schüler müssen unglaublich viel leisten für die Schule. Die Arbeitszeit, die man hat, übersteigt meistens die eines Arbeitnehmers. Man würde nicht acht Stunden arbeiten, um nach Hause zu gehen und nochmal vier Stunden zu arbeiten. Das ist aber die Realität von Schülerinnen und Schülern. Ein weiterer großer Punkt ist, dass der Lehrplan und die Inhalte, die vermittelt werden, nicht alltagsnah sind. Man verbringt schon so viel Zeit hier und am Ende des Tages weiß man gar nicht, wofür man das macht.


Viele der Probleme sind seit Jahren bekannt. Warum veränderte sich bisher nichts?

Das ist eine Frage, die wir uns selbst momentan oft stellen. Wir haben auch beim Kultusministerium nachgefragt, niemand hat eine Antwort darauf. Wie gut man im Bildungssystem gefördert wird, ist schon in der Kita erkennbar. Selbst wenn man ohne Migrationshintergrund in Deutschland geboren wird, kommt es darauf an, ob die Eltern Akademiker sind oder nicht. Wir brauchen mehr Chancengleichheit in unserem Schulsystem. Der Beruf Lehrkraft muss außerdem attraktiver werden. In Ländern, die in der Pisa-Studie gut abgeschnitten haben, ist der Beruf Lehrkraft sehr angesehen. Das ist in Deutschland nicht der Fall.


Gibt es in Sachsen spezielle Baustellen?

Was in meinen vielen Jahren in der Schülervertretung immer wieder aufkam, ist das große Thema Digitalisierung. Das müssen wir unbedingt vorantreiben. Es gibt viele Schulen, die kein WLAN haben oder ihr Fenster aufmachen müssen, damit das WLAN durchkommt, weil die Wände so dick sind.


Wie geht es weiter für das Bildungssystem in Sachsen?

In Sachsen haben wir schon vor den Ergebnissen der Pisa-Studie angefangen zu überlegen, wie wir die momentane Lage verbessern können. Beim Projekt »Bildungsland 2030« beschäftigen wir uns damit, wie wir das System Schule ändern können.


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