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Stadtleben

Unbillige Härte 

Für einen Neubau an der Weißen Elster gefällte Bäume sorgen für Unmut in der Holbeinstraße  

  Unbillige Härte  | Für einen Neubau an der Weißen Elster gefällte Bäume sorgen für Unmut in der Holbeinstraße    Foto: Lena Grützmacher

Im November wurden auf dem Baugrundstück der Holbeinstraße 6a Bäume für den Bau eines riesigen Wohnprojekts gefällt. Genehmigungen wurden erteilt, Widersprüche eingereicht und dennoch waren Umweltschützern die Hände gebunden.  

Kettensägen schrillen, Bäume fallen ins Wasser, Menschen schreien: All das ist auf einem Video zu sehen, das dem kreuzer vorliegt und die Baumfällungen vom 24. und 25. November 2023 in der Holbeinstraße 6a zeigt. Die Baumaßnahme auf dem Grundstück direkt an der Weißen Elster hat für großen Unmut in Schleußig gesorgt – mit mehreren Polizeieinsätzen, einer Demonstration und erhöhtem Medien-Interesse.  

Doch der Reihe nach. Am 26. April 2022 spricht die Stadt Leipzig die Baugenehmigung für ein Vorhaben der AGH-Trade-Immobiliengesellschaft aus, ein knappes Jahr später bestätigt auch das Amt für Bauordnung und Denkmalpflege am 13. März 2023 die Genehmigung. Anwohnerinnen und Anwohner klagen daraufhin gegen das Vorhaben, da sie das geplante Gebäude als zu hoch empfinden – erfolglos. 

Sondergenehmigung für Bebauung des Gewässerrandstreifens

Das Immobilienunternehmen möchte auf dem Grundstück ein modernes, fünfstöckiges Gebäude bauen, das bis an die Weiße Elster vorstößt. Auf der Website des Unternehmens sieht man detaillierte Pläne zum Haus, dessen Lage und den darin geplanten Eigentumswohnungen: ein futuristischer, weißer Bau mit großen Fensterfronten, Balkonen und Dachterrasse. Das Gebäude soll in zweiter Reihe hinter bereits bestehenden Häusern an der Holbeinstraße entstehen und einen privaten Anleger an die Weiße Elster erhalten. Für die Umsetzung ist eine Sondergenehmigung nötig, denn laut sächsischem Wassergesetz ist die Bebauung eines fünf Meter breiten Randstreifens an Gewässern verboten. Ausnahmen gibt es nur in Einzelfällen, da Gewässerrandstreifen in der Regel geschützte Habitate sind.  

Die Stadt begründet ihre Entscheidung für die Genehmigung in der Baugenehmigung damit, dass ein Verbot einer »unbilligen Härte« gleichkomme. Unbillige Härte wird oft als Kriterium verwendet, um Ausnahmen von geltenden Bauvorschriften zu genehmigen. In solchen Fällen können Bauherren oder Eigentümer Anträge auf Befreiungen oder Ausnahmen stellen, wenn sie besondere Umstände oder außergewöhnliche Situationen sehen, die eine strikte Einhaltung er Vorschriften unverhältnismäßig erscheinen lassen – im konkreten Fall sah die Stadt Leipzig den Umstand der »unbilligen Härte«, der die Bebauung des Randstreifens ermöglicht. Anfang November wurde diese Genehmigung zur Bebauung des Randstreifens dann durch die »Untere Wasserbehörde« des Amtes für Umweltschutz erteilt.

Baumfällungen trotz Widerspruchs

Die Baugenehmigung ist aus Datenschutzgründen nicht öffentlich, jedoch lässt sich aus einem Widerspruch des BUND entnehmen, dass die Stadt die Genehmigung mit der Aussage begründete, dass »an anderen Stellen an der Weißen Elster bereits einmal in den Gewässerrandstreifen reingebaut wurde«. Das Amt für Stadtgrün und Gewässer genehmigte zudem die Fällung der Bäume auf dem Grundstück mit der Bedingung einer Ersatzpflanzung an anderer Stelle. Wo genau das geschehen soll, ist noch offen. Bereits im September legte der BUND sowohl Widerspruch gegen die Baugenehmigung als auch die wasserrechtlichen Entscheidungen zur Erteilung einer Befreiung vom Bauverbot im Gewässerrandstreifen ein. Der Widerspruch gegen die Baugenehmigung wurde im Oktober zurückgezogen, da sie sich laut BUND als nicht erfolgsversprechend erwies. Einen dritten Widerspruch gegen die Baumfällungen legte der BUND am 24. November mit Beginn der Rodungsarbeiten ein. Melanie Lorenz vom BUND sagt gegenüber dem kreuzer: »Alles im Zusammenhang mit der Baugenehmigung müssten die Nachbarn einklagen, wir sind da nicht klagebefugt.«  

Mit den Genehmigungen im Rücken beauftragte die Immobilienfirma AGH-Trade eine andere Firma zur Fällung der Bäume, die daraufhin am 24. November 2023 erstmals Arbeiter in die Holbeinstraße schickte. Laut einem Ereignisprotokoll der Anwohnerinnen und Anwohner, das dem kreuzer vorliegt, erschienen die Arbeiter gegen 14 Uhr und das daraufhin gerufene Ordnungsamt samt Polizei und der BUND um 14:30 Uhr. Innerhalb dieser halben Stunde wurden die meisten Bäume gefällt. Begonnen wurde dabei mit den Bäumen im Wasserrandstreifen. Gegenüber dem kreuzer erklärt Sprecherin Melanie Lorenz, der BUND habe telefonisch »Widerspruch mit aufschiebender Wirkung« beim Amt für Umweltschutz eingelegt. Dieser sei daraufhin noch schriftlich begründet worden. Diese Begründung liegt dem kreuzer vor. Das aus dem Widerspruch resultierende Fällverbot des Ordnungsamtes hatte kaum Wirkung, da zum Zeitpunkt des Eintreffens des Ordnungsamtes nur noch ein Baum auf dem Grundstück stand. 

»Es geht hier nicht darum, privates Baurecht zu beschränken. Aber es muss verträglich geschehen.«  

Auf kreuzer-Anfrage teilte Khaled Khalifa, Geschäftsführer des Bauunternehmens AGH-Trade mit, der Abbruch der Fällarbeiten sei durch »rege Beschimpfung, Handgreiflichkeiten und unrechtmäßiges Betreten des Grundstückes« durch Anwohnerinnen und Anwohner erzwungen worden. Was diese dem kreuzer gegenüber bestreiten: »Es ist ausgeschlossen, dass sich besorgte Nachbarn den Arbeitern mit Kettensägen tatsächlich entgegengestellt haben, geschweige denn handgreiflich geworden sind«, berichtet ein Anwohner auf Nachfrage. Alle Vorkommnisse sollen zur Anzeige gebracht worden sein, sagen die Anwohnenden. Polizeisprecherin Josephin Sader äußerte sich auf kreuzer-Nachfrage nicht zu den Vorkommnissen, sondern verwies an das Ordnungsamt als zuständige Behörde. Das Ordnungsamt gab auf kreuzer-Nachfrage an, dass dort »keine derartigen Handlungen festgestellt, dokumentiert oder zur Anzeige gegeben« wurden. Wo sich diese Anzeigen befinden, ob es sie wirklich gibt und was tatsächlich am 24. November passierte, bleibt somit ungeklärt. Am Samstag, den 25. November, wurden die Arbeiten trotz des Widerspruchs fortgesetzt, da sich AGH-Trade durch die Baugenehmigungen im Recht sah. 

Der Unmut der Anwohnerinnen und Anwohner wurde in der folgenden Woche größer. Für den 30. November meldete Grünen-Stadtrat Jürgen Kasek eine Kundgebung an, an der etwa 100 Menschen teilnahmen, darunter Anwohnende, Mitglieder des BUND und Umweltschützerinnen und -schützer. In vielen Redebeiträgen wurden die Kritikpunkte der Anwohnerinnen und Anwohner deutlich: Der Umweltschutz würde hier den Bauinteressen untergeordnet, Sondergenehmigungen würden zu schnell erteilt und der Umweltschutz mit Füßen getreten. Eine Anwohnerin, die als Architektin arbeitet, machte deutlich: »Es geht hier nicht darum, privates Baurecht zu beschränken oder zu verbieten. Wir alle wussten und wissen, dass dieses Grundstück ein Baugrundstück ist. Und wem es gehört, der hat die Möglichkeit, dort zu bauen. Aber es muss verträglich geschehen.«  

Die Fronten sind verhärtet: Bauunternehmer Khaled Kalifa fühlt sich im Recht, da ihm sämtliche Genehmigungen und Gutachten zur Errichtung des Baukörpers vorliegen würden. Die Umweltverbände sehen Bauvorschriften verletzt und halten die erteilten Genehmigungen für nicht nachvollziehbar. Die Stadt erklärt das Entfernen der Bäume aufgrund der bereits gewährten Baugenehmigung und der Bestimmungen, die von verschiedenen Behörden geprüft wurden, für rechtmäßig. Und Anwohnerinnen und Anwohner fühlen sich übergangen und missverstanden und verlieren das Vertrauen in politische Entscheidungsinstanzen.

 

 

 

 


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