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Kultur

»Ich würde meine Arbeit komplett zerstören, wenn ich mich auf der Bühne politisch äußere«

Daniel Grossmann, Leiter des Jewish Chamber Orchestra, über politischen Druck in konfliktreichen Zeiten

  »Ich würde meine Arbeit komplett zerstören, wenn ich mich auf der Bühne politisch äußere« | Daniel Grossmann, Leiter des Jewish Chamber Orchestra, über politischen Druck in konfliktreichen Zeiten  Foto: Thomas Dashuber

Daniel Grossmann ist Leiter des Jewish Chamber Orchestra in München, das am Sonntag auch auf dem Leipziger Bachfest auftrat. Im Interview spricht er über beruflichen und politischen Druck in konfliktreichen Zeiten - und warum er manchmal lieber schweigt. 

 
Das Leben als Musiker ist von unterschiedlichen künstlerischen und gesellschaftlichen Erwartungshaltungen geprägt. Mit welchen Herausforderungen hatten Sie in Ihrer Karriere bisher zu kämpfen?

Ich verspüre bei jedem Konzert Leistungsdruck, versuche das aber in den Hintergrund zu stellen. Für mich ist es wichtig, die Kunst in den Mittelpunkt zu stellen und das Publikum emotional zu berühren. Wenn ich da aufgeregt wäre, würde das nicht funktionieren. 


Ist das nur eine Frage der Einstellung?

Ich gehe mit Freude raus und will etwas erzählen – das ist meine grundsätzliche Einstellung als Künstler. Wenn ich dabei immerzu Druck verspüren würde, könnte ich meinen Job nicht machen. Aber ich habe auch Kollegen, die es nur mit Betablocker auf die Bühne schaffen.


Im Alter von drei Jahren stand fest: Sie werden Dirigent. Ziemlich hohe Erwartungen an ein Kind.

Also, den Erwartungsdruck hatte nur ich an mich selbst. Meine Eltern wollten überhaupt nicht, dass ich Dirigent werde. Sie fanden die Idee ganz schrecklich.


Warum? 

Weil sie Sorge hatten, dass ich ein Dirigent werde, der an 300 Tagen im Jahr reist und damit nicht klarkommt. Und sie hatten Recht: damit würde ich nicht klarkommen. Ich kenne genug Dirigenten, die ihre Kinder - wenn es hoch kommt - 30 Tage im Jahr sehen. Das würde für mich nicht funktionieren.


Unterstehen Frauen am Dirigentenpult da einem anderen Druck?

Ich sage jetzt etwas Unpopuläres für die heutige Zeit: Ich glaube, es macht immer einen Unterschied, ob Mutter oder Vater. Wäre eine Mutter in meiner Situation, glaube ich nicht, dass es gut für die Kinder wäre. Aber natürlich gibt es weibliche Dirigentinnen mit Kindern. Da müsste man die Kinder fragen, ob sie das gut finden.


Das Jewish Chamber Orchestra Munich möchte jüdisches Leben sichtbar machen. Seit dem 7. Oktober trauen sich jüdische Studierende in Berlin teilweise nicht mehr, an universitären Veranstaltungen teilzunehmen. Wie bewerten Sie diese Entwicklungen? 

Das Gefühl muss schrecklich sein. Was in Berlin passiert, erschüttert mich am allermeisten. Ich dachte, in einem Umfeld, das eigentlich intellektuell genug sein sollte, würde sowas nicht passieren. 


Und mit welchem Gefühl gehen Sie derzeit auf die Bühne?

Anfangs hatte ich Angst, auf die Bühne zu gehen - das ist jetzt nicht mehr so. Es wird immer besser. Man gewöhnt sich an die Umstände.


Gibt es denn Orte, die Sie als Jude derzeit meiden? 

Es sind weniger Orte in München, aber ich würde zum Beispiel Berlin-Neukölln meiden. Außerdem plane ich aktuell keinen Urlaub in muslimischen Ländern, seit die israelische Regierung die Empfehlung ausgesprochen hat, als Jude nicht dorthin zu reisen. Ich habe Sorge, dass ich meine Familie in Gefahrensituationen bringe. Es gab bereits antisemitische Vorfälle.


Antisemitismus gibt es in Deutschland nicht erst seit dem Terrorangriff der Hamas im Herbst. In der Vergangenheit haben unter anderem AfD-Politiker immer wieder den Holocaust verharmlost. Nun hat diese Partei fast 20 Prozent der Stimmen in Deutschland. Können Sie sich da noch als Teil dieser Gesellschaft identifizieren?

Ich identifiziere mich unglaublich stark mit deutscher Kultur: Deutsche Literatur, deutsche Musik, deutsche Kunst. Ich blende diese 20 Prozent aus, weil sie auch in meiner kulturellen Blase nicht vorkommen. Das ist natürlich sehr naiv von mir.


Igor Levit, ein deutsch-jüdischer Pianist, hält zwischen seinen Stücken politische Reden. Erwartet man das auch von Ihnen?

Nein, ich denke nicht. Mein Publikum erwartet spannende, abwechslungsreiche und im besten Sinne unterhaltsame Konzerte, in denen ich etwas über jüdische Künstler und zu jüdischer Kultur vermittle.


Das heißt, Ihre Bühne bleibt unpolitisch?

Ich glaube, ich würde meine Arbeit komplett zerstören, wenn ich mich auf der Bühne politisch äußere.


Nun bezeichnet sich Ihr Orchester als zeitgenössische jüdische Stimme. Können Sie es sich dann überhaupt erlauben, derzeit zu schweigen? 

Ich schweige ja nicht. Es gibt ungefähr 200.000 jüdische Menschen in Deutschland. Ich möchte, dass sich die Gesellschaft mit diesen Menschen und ihrer Kultur auseinandersetzt. Sobald ich aber anfange, politische Reden über Antisemitismus und Israel zu halten, würde ich genau davon wieder wegkommen. Ich glaube, das ist das Problem. Wir reden zu wenig über jüdische Kultur. Deshalb sehe ich meine Aufgabe darin diesen Fokus nicht zu verlieren. Ich will die Gesellschaft zwingen, auf jüdisches Leben zu schauen.


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