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Aleš Šteger: Archiv der toten Seelen

Aleš Šteger: Archiv der toten Seelen

Aleš Šteger: Archiv der toten Seelen. 336 S.

Thriller, Groteske, Gesellschaftsroman, Stadtporträt? Irgendwie steckt von allem etwas in Aleš Štegers »Archiv der toten Seelen«. Mit seinem ersten Roman ist dem slowenischen Autor, der bislang vor allem als Lyriker hervorgetreten ist, eine ziemlich ungewöhnliche Geschichte und eine ebenso ungewöhnliche Form der Geschichtsaufarbeitung gelungen. Dreh- und Angelpunkt ist Maribor, das 2012 europäische Kulturhauptstadt wurde. Mitten im Medienrummel und überdies zur Karnevalszeit reisen der aus Maribor stammende Dramaturg Adam Bely und die kubanisch-österreichische Journalistin Rosa Portero an – vorgeblich, um ein Porträt der Stadt zu erstellen, tatsächlich aber in geheimer Mission. Rosa und Adam sind nämlich nicht nur einer bösen Verschwörung auf der Spur, sondern auch als Seelenerlöser unterwegs. Ihre Werkzeuge: Hypnose, Wahrheitsserum, Lügendetektor, scientologisches Know-how und kleine Backerbsen, die es auf besondere Weise in sich haben. Klingt schräg? Ist es auch. Tatsächlich kann einem bei der Lektüre von Štegers Debütroman schwindlig werden. Dazu tragen nicht nur die spleenigen Protagonisten bei – allen voran das Duo Bely/Portero samt ihrer dubiosen Ermittlungspraktiken –, sondern auch die Abgründe, die sich unter der Oberfläche der Kulturhauptstadt auftun. Denn Maribor hat, nicht zuletzt aufgrund seiner wechselvollen Geschichte, ziemlich viele Leichen im Keller. Wenn Bely und Portero das »Archiv der toten Seelen« öffnen, kommen nicht nur Korruption und Kulturkapitalismus des neuen Jahrtausends zum Vorschein, sondern auch vergangene Verbrechen, die bislang in den anonymen Massengräbern unter der Stadt begraben waren. »Archiv der toten Seelen« ist ein Roman, der sich schwer in irgendeine Schublade stecken lässt (die Verlagsinfo bietet Kafka, Gogol und Bulgakow zum Vergleich an). Aleš Šteger erzählt von historischen Traumata und handfestem Kapitalismus, von Okkultismus und Kommerz und bietet dabei ebenso einen fantastisch-grotesken Kommentar zur europäischen Kulturgeschichte wie eine bissige Satire auf den gegenwärtigen Kulturbetrieb. Ein sonderbarer, exzentrischer, spannender und unterhaltsamer Text. Stephanie Bremerich


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