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Helena Adler: Die Infantin trägt den Scheitel links

Helena Adler: Die Infantin trägt den Scheitel links

Helena Adler: Die Infantin trägt den Scheitel links. 184 S.

Was ist eigentlich Heimat? In Helena Adlers Debütroman scheint die Antwort ganz klar: Heimat ist ein Ort, irgendwo zwischen Märchen und Albtraum, den es auszuradieren gilt. Ein paradoxer Ort auf der oberösterreichischen Alm, der gleichzeitig ein Gefühl von Geborgenheit und Angststörung hervorruft. Die titelgebende Infantin erlebt ihr Umfeld als eine Mischung aus Märchen- und Horrorwesen: Der Vater ist ein esoterischer, alkoholkranker Grizzly, die Mutter ein katholischer, nervenkranker Greifvogel und die beiden älteren Zwillingsschwestern wahlweise unbarmherzige Eisprinzessinnen oder blutrünstige Harpyien. Die Wahrnehmung schwingt dabei so lange zwischen stumpfer, oft romantischer Provinzrealität und der Flucht in die kindliche Fantasie, bis sich beide untrennbar vermischen. Helena Adlers Sprache wird getragen von bildreichen Assoziationen, erschöpft sich aber manchmal in einfachen Anspielungen auf Pop- und Kunstgeschichte. Die Stärke des Buches liegt auf der Seite des Märchens, beispielsweise wenn die Zwillingsschwestern der Infantin von Wurzelkobolden erzählen, die ihr den Atem stehlen wollen, so dass sie sich aufgeblasene Luftballons unters Bett legt – als Notration. Auf der Suche nach einer Bedeutung des ganzen Heimatleidens gleitet Helena Adler schnell in platte Pointen ab: »Wir spannen die Schnüre des Lebens, als wären es lose Fäden.« Der Roman ist in seiner Gewalt und Rigorosität ein einziger Heimatexorzismus. Alle Brücken sollen, wie die elterliche Scheune, verbrannt werden. Doch aus der Asche erhebt sich nichts, der Roman hinterlässt eine Lücke – irgendwo zwischen Märchenkindheit und Punkpubertät klafft ein Widerspruch, der ohne Heimatgefühl durch nichts gekittet wird. Die Frage bleibt unbeantwortet. Marcus Eyck Wendt


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