anzeige
anzeige
Jan Böttche

Jan Böttche

Sex macht die Grenzer fertig

Jan Böttche. 256 S.

Von DDR-Romanen hat man eigentlich die Nase voll. Damals wurde eben bespitzelt und verraten, und nicht selten waren die Bespitzelten selbst auch Verräter. Aber manchmal gibt es DDR-Geschichten, die nicht nerven, denn sie sind authentisch und gleichzeitig überraschend. Ein Beispiel dafür ist der Roman »Nachglühen« des Autors und Musikers Jan Böttcher: Verraten wird Jens, der Verräter ist Jo. Beide wohnen im Sperrgebiet an der Elbe, dort, wo selbst Regentonnen verboten sind, weil man sich mit ihnen den Deich hinunter in den Westen rollen kann. Sie wachsen mit der »gewaltigen Präsenz des Eisenzauns« auf, überall patrouillieren Grenzer. Ebendiese Grenzer sind es, denen Jens und Jo einen Streich spielen wollen: Sie senden durch deren Funksystem Gestöhne und sexuelle Dialoge, denn Jens ist sich sicher: »Sex macht die Grenzer fertig.«Der Roman, der im vergangenen Jahr in Auszügen bereits bei den Tagen der deutschsprachigen Literatur ausgezeichnet wurde, erzählt eine Episode aus der DDR à la »Die Schleife an Stalins Bart«: Aus einem Dummejungenstreich wird Ernst, aus Spaß wird Gefängnis, aus Freundschaft wird Feindschaft. Jo macht sich aus dem Staub, und Jens sitzt zwei Jahre im Gefängnis. Gleichzeitig verhandelt »Nachglühen«, wie die Vergangenheit die Gegenwart beeinflussen kann. Als Jens zwanzig Jahre später nach Stolpau zurückkehrt, gerät er in eine tiefe Krise: Er kann seinen grenzenlosen Hass auf Jo nicht kontrollieren und bekommt Depressionen und Wahnvorstellungen. Geschickt wechselt Böttcher die Zeitebenen, deutet Vergangenes an, hält wichtige Informationen zurück und zeichnet so das Bild zweier Jungen inmitten einer Dorfgemeinschaft, die das Verschweigen und Wegschauen vierzig Jahre lang gelernt hat. Die Dorfbewohner reden wenig, und wenn sie etwas sagen, klingt das so: »Warstu schon los?« oder »mit de Fähre un so«. Böttchers Nachahmung des norddeutschen Dialekts wirkt ein wenig zu naturalistisch. Wenn aber niemand redet, sondern Böttcher in seinem präzisen, ironischen Tonfall erzählt, dann entsteht ein Gefühl aberwitziger Beklemmung: So könnte sich die DDR tatsächlich angefühlt haben. Katharina Bendixen


Weitere Empfehlungen