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Peter Gosse

Peter Gosse

»Achtung, Paradies!«

Peter Gosse. 160 S.

Gerade 20 Jahre ist es her, da war Leipzig die unumstrittene Buchmetropole des »Leselandes DDR« - eine Rolle, an die die Messestadt im wiedervereinigten Deutschland nicht wieder anschließen konnte. Ein klein wenig Sehnsucht nach dieser vermeintlich guten alten Zeit schwingt mit, wenn nun im Mitteldeutschen Verlag ein großformatiger Bildband zum »Literarischen Leben in Leipzig 1970?1990« erscheint, der Hunderte Fotos von Autoren, Lektoren, Verlegern, Lesern, von Preisverleihungen, Lesungen, aber auch von Alltagsmomenten versammelt. Mit eingebunden, aber durch ein abweichendes Format vom Bildteil unterschieden sind persönliche Erinnerungen einiger beteiligter Autoren west- wie ostdeutscher Herkunft. Man sieht Walter Jens, Martin Walser, Günter Grass oder Hans Magnus Enzensberger bei Lesungen im Gohliser Schlösschen, man sieht Volker Braun, Christoph Hein, Erich Fried oder Stephan Hermlin in trauter Atmosphäre oder umringt von ihren Lesern.Massive Kritik musste der Band bereits einstecken: In der Süddeutschen Zeitung hat Erich Loest den Herausgebern historische Verharmlosung vorgeworfen und gleich mehrere der Dargestellten als Stasi-Spitzel oder SED-Funktionäre identifiziert. Sein Vorwurf ist nicht ganz von der Hand zu weisen. Denn in der Tat: Hinweise auf staatliche Repressionen, auf Druck- und Publikationsverbote unterbleiben fast vollständig. »Achtung, Paradies«, überschreibt Fritz Rudolf Fries seine Erinnerungen an ein vermeintlich idyllisches literarisches Leipzig. Und wenn Angela Krauß eine Zeit beschwört, in der man sich bei Apfelrührkuchen und Saale-Wein traf, wohingegen bei heutigen Buchmessen »Büchermenschen vor Bücherwänden« stehen, »eingemauert vom literarischen Kanon«, dann fragt man sich schon, wer da tatsächlich eingemauert war oder ist. »Meine siebziger Jahre waren anders«, schreibt Loest und erinnert an seinen Aufenthalt im Stasi-Knast Bautzen II in den 60ern.Das ändert nichts daran, dass »Weltnest« ein überaus lesens- und sehenswertes Buch ist, eine Literaturgeschichte der DDR in Bildern, die hohen dokumentarischen Wert hat. Aber über die Kehrseite des Dargestellten muss man sich anderswo informieren. Leonhard Herrmann


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