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Thomas Perlick

Thomas Perlick

Erlebnisse einer Wasserleiche

Thomas Perlick. 180 S.

Manche Bücher wären vielleicht besser als Gemälde zur Welt gekommen. Der neue Roman von Thomas Perlick beispielsweise würde ein vorzügliches Stillleben abgeben. So ist die Hauptfigur auf Seite 1 bereits verschieden. Als Wasserleiche dümpelt Herr von Weidenfels ein kleines Flüss?chen entlang, wird kurz darauf angeschwemmt und ausgeplündert. Anschließend stellt ihn die Polizei sicher und 180 Seiten später sinkt er ins Grab. Zwischen diesen beiden Punkten spannt sich die Handlung des Romans. Allerdings ist diese ziemlich überschaubar.Den Kern bildet eine Gruppe von Figuren, die alle irgendwie mit dem Schicksal des Verstorbenen zusammenhängen. Ihre Zusammenstellung wirkt jedoch etwas lose und willkürlich - so wie Marionetten, die sich vorübergehend mit ihren Fäden zu einem Faden verwickelt haben, sich aber sonst ganz unabhängig bewegen. Immer wieder wird dieser Faden als geheimnisvolles Band der Vorsehung beschworen. Tatsächlich erweist er sich eher als ausgeleiertes Schlüpfergummi. Was hingegen zu fesseln vermag, sind die Figuren selbst. Sei es die passionierte Unheilsprophetin Moriana Portocelli mit ihren düsteren Visionen oder Cornelia Behrens, die sich abwechselnd für Marilyn Monroe, eine Nonne oder die Gattin von Richard Wagner hält. Jede von ihnen verfügt über ein stattliches Maß bezaubernder Eigenheiten. Schade ist nur, dass sie sich in der Regel selbst genügen. Der Kontakt zwischen den Figuren ist eher dis?tanziert, und wer dramatische Geschehnisse erwartet, wird enttäuscht. Dabei gestaltet Perlick ihr Innenleben, ihre Schwächen und Hoffnungen, äußerst liebevoll, was mehr als einmal zu einem Lächeln verführt. Die Geschichte selbst kommt aber trotzdem nicht in Schwung. Auf diese Weise werden die 180 Seiten zu einem recht gemütlichen Spaziergang, und am Ende ist es wie mit der Bestattung des wenig geliebten Herrn von Weidenfels: Der Deckel fällt zu, man fühlt sich kurz ergriffen - und das war es dann auch schon. Leider. André Ziegenmeyer


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