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Unrueh

Unrueh

CH 2022, R: Cyril Schäublin, D: Clara Gostynski, Alexei Evstratov, Monika Stalder, 93 min

Höflichkeit ist durchaus eine Tugend. Doch wie es darum bestellt, wenn ein Fabrikbesitzer, aufs Allerhöflichste drei Mitarbeiterinnen entlässt, weil sie Teil einer anarchistischen Bewegung sind? Oder wenn zwei Schutzmänner einer alten Frau mit Engelszungen erklären, dass sie nun leider für zehn Tage ins Gefängnis müsse, weil sie ihre Gemeindesteuern nicht bezahlt habe? Willkommen in Saint-Imier, einem kleinen Schweizer Bergdorf im Jahr 1877, berühmt für seine Uhrenproduktion. In »Unrueh« trifft hier der russische Kartograf und Anarchist Pyotr Kropotkin auf die Arbeiterin Josephine Gräbli, die in der Fabrik dafür zuständig ist, die titelgebende Unruh einzustellen, einen Mechanismus, der das Räderwerk einer Uhr zum Schwingen bringt. Regisseur Cyril Schäublin orientiert sich in seinem Film nur lose an seinen beiden Figuren. Sein Interesse gilt dem Dorfkosmos im letzten Drittel vor der Jahrhundertwende. Vor idyllischer Bergkulisse treffen anarchistische Ideen auf die beginnende Industrialisierung, Spaziergänger auf Fotografen, die Sammelbildchen verkaufen und Landschaftsaufnahmen schießen. »Unrueh« gelingt das Kunststück, mit langsamem Puls eine ganze Welt zu verhandeln. Viele Fragen werden dabei jedoch eher angerissen, als beantwortet und so schwebt auch etwas Rätselhaftes über diesem Film, der bei der Berlinale in der Sektion Encounters den Preis für die Beste Regie gewann. JOSEF BRAUN


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