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Wolfgang Schlüter

Wolfgang Schlüter

Ein Hauptspaß für die »happy few« - Wolfgang Schlüters Roman »Die englischen Schwestern« liest man nicht beim Frisör

Wolfgang Schlüter. 408 S.

Also: Zwei Zausel, Werner und Georg (»Schorse«), latschen in Arno Schmidt‹scher Manier bildungsbürgerliches Bullshit-Bingo quatschend durch Kreuzberg. In der heimatlichen Bude präsentiert Werner seinem Kumpel ein aus dem Sperrmüll gefischtes Manuskript, das Schorse sich umgehend zu Gemüte führt. Es handelt sich um Briefe, die ein Studiosus seiner Freundin aus dem Italien-Urlaub geschrieben hat. Darin berichtet er, wie ihm in einer Eisdiele ein gewisser Señor Kufner erzählte, wie sich ihm, Kufner, einst in der Wiener Mensa eine blinde Pennerin als 1769 geborene Marianne Kirchgeßner vorgestellt habe, welche es einst als Virtuosin auf der Glasharmonika, jenem seltsamen und legendären Instrument, das Benjamin Franklin erfunden und für das sogar Mozart später Stücke komponiert hat, zu europaweiter Berühmtheit gebracht hatte. Frau Kirchgeßner überlässt nun ihrerseits Kufner eine Mappe mit Aufzeichnungen des deutschen Gehilfen von Admiral Nelsons Wundarzt Howard Walpole ... Und nun geht es mit den Verschachtelungen erst richtig los. Aber um es kurz zu machen: Die Kapitel sind nach dem Vorbild der aus ineinandergeschobenen Glasglocken bestehenden Glasharmonika angeordnet: Von C bis F beginnt also eine Erzählung nach der anderen. In der Mitte unterbricht Schorse seine Lektüre, um eine Bouteille Ingwerbier zu trinken, und dann schließen sich die Geschichten nacheinander von Fis bis H. So etwas liest man natürlich nicht gerade beim Frisör. Schlüters Roman »Die englischen Schwestern« ist ein ebenso virtuoses wie überladenes Arrangement aus musikologischen Exkursen, intertextuellen Verweisen, Stil-Imitationen, falschen, echten und halbechten Zitaten (von Goethe, E. T. A. Hoffmann, Mozart, Benjamin Franklin und vielen anderen) und metafiktionalen Durchbrechungen - mit anderen Worten: ein echtes Amüsement für Jean-Paul-Freaks, Arno-Schmidt-Jünger und andere enzyklopädische Bescheidwisser, so recht ein Hauptspaß für die »happy few«. Und, bei der eulenäugigen Athene, warum nicht! Für die Normalleser gibt es doch wahrlich genug Bücher. Olaf Schmidt


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