anzeige
anzeige
Disco Elysium

Disco Elysium

Lesefluss statt Lootspirale

Plattform: PC, Preis: 40 €

Spiele wie »Disco Elysium« dürften eigentlich gar nicht existieren, geschweige denn so erfolgreich sein. Der Titel kommt vom estnischen Indie-Studio Zaum, das 2009 als Künstlerkollektiv gegründet wurde. Der leitende Entwickler Robert Kurvitz macht Musik, schreibt Romane und ist Chef-Autor des Spiels, das auf die für Rollenspiele typische Gameplay-Spirale aus Kämpfen, Beutesammeln und Leveln verzichtet. Stattdessen liegt der Schwerpunkt auf hervorragend geschriebenen Texten – wer keine Lust auf Lesen hat, wird mit dem Spiel, das es nur auf Englisch gibt, nicht viel Freude haben. Man schlüpft in die Rolle eines Polizisten, der in einem Mordfall ermitteln soll, es aber vorzieht, in seinem Motel in der Nähe des Tatorts eine wilde Party zu feiern. Eine epische Party über mehrere Tage, die in einem gigantischen Hangover samt Totalfilmriss endet. Der Detective erwacht nur in Unterhosen und stellt fest, dass er neben seinen Erinnerungen im Drogenrausch auch Dienstmarke und -waffe verloren hat – keine guten Voraussetzungen für die anstehenden Ermittlungen. »Disco Elysium« erinnert an ein Adventure, wenn man den Schauplatz Revachol – dieses Ölgemälde einer Stadt – aus der isometrischen Perspektive erkundet. Die Welt ist unverbraucht und fremdartig, angesiedelt in einer Parallelwelt irgendwo zwischen Fünfzigern und Futurismus. Anhand seiner komplexen Charaktere verhandelt Kurvitz politische und philosophische Themen: Revachol war Schauplatz einer fehlgeschlagenen kommunistischen Revolution und wird nun von einer neoliberalen Besatzungsmacht kontrolliert. Der Stadtteil, in dem wir ermitteln, ist das heruntergekommene Viertel der Metropole, die Slums, in denen wir es mit drogensüchtigen Zwölfjährigen, fetten Gewerkschaftsbossen und rassistischen Bodybuildern zu tun bekommen. Bei ihnen handelt es sich um die ansonsten nicht vorhandenen Monster. Dass »Disco Elysium« als klassisches Rollenspiel funktioniert, liegt nicht zuletzt am großartigen Charaktersystem. Hier gibt es keine Skills wie »Schlösser knacken« oder »Stumpfe Hiebwaffen«. Stattdessen trainiert man Empathie, Logik oder Konzeptualisierung (»Understand creativity. See Art in the world.«) Die Fähigkeiten kommen nicht nur in den Dialogen zum Einsatz, sondern melden sich auch zu Wort, wenn der Protagonist etwa an einer leeren Häuserwand vorbeigeht und beschließt, dass hier Kunst fehlt. Die inneren Mono- beziehungsweise Dialoge, die wir nur mit unseren Fähigkeiten führen, sind ein Highlight dieses Spiels. Es säuft und schimpft und beschreitet im Genre selbstbewusst neue Wege. Alexander Praxl


Weitere Empfehlungen