Ereignis in der Stadt
30 Jahre – 30 Texte. Neue Literatur aus Slowenien. Zusammengestellt von Jelka Ciglenečki. Salzburg/Wien: Residenz 2023. 352 S., 28 €
Ereignis in der Stadt.
Gut möglich, dass Ihnen einige der 30 Autorinnen und Autoren, die für die Anthologie »Ereignis in der Stadt« Texte beigesteuert haben, so gar nichts sagen – umso besser! Schließlich lädt der Band, der gerade so umfangreich ist, dass man ihn noch bequem in der Tasche herumtragen und jederzeit hervorholen kann, zu Entdeckungsreisen in die Vielfalt der slowenischen Literatur ein. Die titelgebende Stadt führt uns dabei weit über expressionistische Schilderungen von Chaos und Anonymität hinaus: Es geht nicht nur um Ansammlungen von Gebäuden, sondern auch
Gedankenlabyrinthe, Schleifen, die man immer wieder drehen muss, lebensüberschattende
Sackgassen, die einen beinahe verzweifeln lassen – es geht um die Stadt in uns. Innerlichkeit wechselt sich ab mit sozialem Engagement und scharf gewetzten Blicken auf die politischen Verhältnisse unserer Gegenwart. Schweigsame, etwas verlorene Charaktere von stolzem Charme taumeln durch die Städte der Welt, kommen nach Hause, verlieren Gewissheiten und tänzeln oft am Rand der Realität entlang.
Mojca Kumerdej schickt einen Agenten mit mehreren Identitäten, der sich schlussendlich doch nicht auf seine Intuition verlassen kann, in ein kafkaeskes Dilemma. Bei Desa Muck wird einer misanthropischen Fernsehproduzentin von einer unter der Ungerechtigkeit der Welt leidenden Teenagerin die ersehnte Ruhestands-Einsamkeit verwehrt. Jani Virks Protagonist lernt in einer
Kosmologie-Vorlesung eine rätselhafte Frau kennen, die sein restliches Leben in unendliche Dunkelheit taucht. Zwischendurch finden sich Lyrik und Kurzprosa, etwa eine eigenwillige Anleitung zur Bekämpfung von Pharaoameisen (Boris Kolar) oder eine Fabel über die Macht der Wörter
(Andrej Blatnik). Die meisten Figuren kommen nicht da an, wo sie sich ursprünglich gesehen haben, müssen ihre Vorstellung von der Welt überdenken oder sogar ganz über den Haufen werfen. Und geschieht nicht auch genau das beim Lesen eines guten Buches? Alexandra Huth