Johannes Herwig
Halber Löwe. Hildesheim: Gerstenberg 2023. 240 S., 18 €
Johannes Herwig.
Verantwortung – das ist eines dieser Erwachsenenwörter, die einen am Boden der Tatsachen festnageln. Verantwortung für ein Meerschweinchen zu übernehmen, kann
schon manchmal nerven, aber was, wenn ein Menschenleben vom eigenen Handeln abhängt? Sascha, Ich-Erzähler und Protagonist in Johannes Herwigs neuem Jugendroman »Halber Löwe«, hängt am liebsten mit seinen Kumpels in einem Abrisshaus rum. Er ist sechzehn, die Sommerferien und das letzte Schuljahr liegen vor ihm. Es ist die Nachwendezeit in Leipzig, die Lebensläufe der Elterngeneration sind zerbrochen. Saschas alleinerziehende Mutter arbeitet als Krankenschwester im Schichtdienst, er kümmert sich
währenddessen um seine kleine Schwester Jacky. Wenn Sascha mit seinen Freunden zusammen ist, denken sie sich Mutproben füreinander aus, immer am Rand (oder jenseits)
des Legalen.
Dann kommt kurz vor den Ferien Marcel neu in die Klasse. Ein stiller, merkwürdiger Typ, den Sascha unter seine Fittiche und mit zur Clique nimmt. Um akzeptiert zu werden, muss Marcel sich einer riskanten Aufgabe stellen. Die Folgen dieser Mutprobe ziehen Sascha den Boden unter den Füßen weg.
Man folgt Sascha gern durch seine nicht einfache Welt. Trotz spürbarer Wut auf die gesellschaftlichen Verhältnisse, die ihn benachteiligen, kümmert er sich um Schwächere
wie Jacky oder Marcel und unterstützt seine Mutter, egal wie uncool andere das finden. »Halbstarke« nannte man mal junge Menschen, die nicht so recht wussten, wohin mit
sich und ihrer Kraft. Sascha jedoch ist — mindestens — ein »halber Löwe«: ebenso gefährlich wie fürsorglich und am Ende auch sehr mutig. Andrea Kathrin Kraus