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Leo Gilbert

Leo Gilbert

Seine Exzellenz der Android. Ein phantastisch-satirischer Roman. Frankfurt am Main: Edition W 2023. 320 S., 25 €

Leo Gilbert.

Leo Gilbert (1861–1932) nimmt in »Seine Exzellenz der Android« die damalige Zeit aufs Korn – und liefert dabei auch einen kritischen Blick auf unsere Gegenwart. Dabei ist es erstaunlich, wie genau sich der gelernte Ingenieur Anfang des 20. Jahrhunderts einen Androiden vorstellte. Präzise werden die Rädchen und Walzen beschrieben, aus denen die menschengleiche Maschine besteht. Aber noch spannender ist das Getriebe des bürgerlichen Systems, das parallel dazu auf unterschiedliche Weise zur Schau gestellt wird. Während die eigentliche Handlung im ersten Drittel des Romans zu stagnieren scheint, entfaltet sich eine Studie über die Angewohnheiten der gehobenen Gesellschaft. Beunruhigend präzise sagt Gilbert die nur wenige Jahre auf die Veröffentlichung folgende Kriegsbegeisterung der Bevölkerung im »wohlig warmen Wolfspelz des Patriotismus und des Christentums« voraus. Der Android – wie sollte es anders sein – macht sich noch vor seinem Verkauf selbstständig, wird fortan von seiner Umwelt als Mensch verkannt und macht Karriere in Wirtschaft und Politik. Der Roman verdeutlicht dabei, dass dies nicht nur an der Perfektion der Maschine liegt, sondern vor allem an der Berechenbarkeit der Menschen. »Die Logik der Menschen […] funktioniert so mechanisch und dabei so falsch, daß ein Ingenieur sich schämen würde, eine so schlechte Maschine wie den Menschen konstruiert zu haben.« Immer wieder klingt dabei an, welch großen Schaden eine Erziehung anrichten kann, die ausschließlich auf die Vermittlung starrer Muster setzt und kritisches Denken bewusst vernachlässigt. Und das sollte uns auch heute, nicht nur vor dem Hintergrund der aktuellen PISA-Studie, zu denken geben. Joachim Kern


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