Melissa Broder
Muttermilch. Aus dem Englischen von Karen Gerwig. Berlin: Claasen 2021. 327 S., 24 €
Melissa Broder.
Es ist eine schlichte, zweckmäßige Sprache, in der die junge, zynische Amerikanerin Rachel von sich erzählt. In einem seelenlosen Los Angeles arbeitet sie in einer Agentur für Talente, die sie verachtet – so wie sich selbst. Es steckt viel Zeitgeist in Melissa Broders Roman, von der Upcycling-Glühbirne bis hin zum klassischen Problem des Großstädters: Zwänge, Süßstoff und Nikotinkaugummis. Eine Liste, die zeigt, woran auch Rachel scheitert: sich reflektieren, aber nichts ändern können. Rachel ist magersüchtig. Schon der Klappentext offenbart, wohin die Reise geht: Rachels Therapeutin empfiehlt ihr ein Mutter-»Detox«. Während die Tochter den Kontakt zur Mutter abbricht (die sich schon damals gewünscht hat, dass die früher kinderspeckige Rachel dünn wäre), lernt sie Miriam kennen, die »unwiderlegbar fett« ist. Den Rest kann man sich denken.
Doch hinter Sex und Fressorgien bleibt es mager: Die entzauberte Welt einer Essgestörten, die an den gigantischen Brüsten einer dicken spirituellen Jüdin saugen will, weil die Mutter sie nicht gestillt hat. Die zweckmäßige Figurenkonstellation begründet teilweise die stereotype Sicht in Rachels Perspektive: Je mehr sie loslässt, desto mehr sieht sie in Miriam, die, Überraschung!, weit mehr ist als nur dick. Auch sind so manche Aussagen von bezwingender Ehrlichkeit: »Ich entschied: Liebe ist, wenn du Essen im Mund hast, von dem du weißt, dass es dich nicht fett machen wird. Lust ist, wenn du Essen im Mund hast, das dich fett machen wird. Angst ist der Tag, nachdem du Essen im Mund hattest, das dich fett machen wird.« Broder bemüht sich nicht um Vermittlung dieses schwierigen Themas, sie sagt, wie es ist. Das kommt manchmal derb, lustig, ekelhaft oder übertrieben beim Leser an, doch ankommen tut es. Linn Penelope Micklitz