Im Laufe der vergangenen 30 Jahre hat PJ Harvey es wie kaum eine andere zeitgenössische
Künstlerin vermocht, ein eigenes musikalisches Universum zu kreieren. Angefangen von Alternative-Rock-Alben wie »To Bring You My Love« und »Stories From The City, Stories From The Sea« bis hin zu den opulent und detailreich arrangierten Art-Pop-Alben »Let England Shake« und »The Hope Six Demolition Project« hat sie sich ein breites Spektrum an künstlerischen Ausdrucksmöglichkeiten angeeignet. Zuletzt wurde Harvey immer politischer, drehte für ihr letztes
Album gar die Dokumentation »A Dog Called Money«, bei der sie sich auf einer Reise durch Afghanistan und den Kosovo begleiten ließ und die dortige Armut und gesellschaftlichen Umstände geißelte. Nach einer länger anhaltenden künstlerischen Schaffenskrise ist ihr neues Album »I Inside The Old Year Dying« nun wieder intimer geraten, knüpft musikalisch aber weitgehend dort an, wo sie zuletzt aufgehört hatte: So hätten Tracks wie »Autumn Term«, »Lonesome Tonight« oder der Titeltrack auch auf einem der beiden vorangegangenen Alben enthalten sein können. Kunstvoll verwebt Harvey dabei folkige Melodien mit jazziger Rhythmik, europäische mit orientalischer Harmonik und trägt damit implizit zu einer Entgrenzung von Begriffen und üblichen Termini bei: Art-Rock? Chamber-Pop? Post-Jazz? Harvey ist all das natürlich egal, und solange sie weiter solch hochklassige Alben produziert, hat man zugegebenermaßen selbst als Musikjournalist keinen Anlass, diesen Umstand zu kritisieren. Luca Glenzer