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Alice Zeniter: Die Kunst zu verlieren

Alice Zeniter: Die Kunst zu verlieren

Alice Zeniter: Die Kunst zu verlieren.

Was heißt es, aus einem Land zu kommen, ohne ihm anzugehören? Zeniter spürt dieser Frage in ihrem 2017 mit dem Prix Goncourt des Lycéens ausgezeichneten Roman nach und sorgte damit in Frankreich für Furore. Schließlich ist dort der Umgang mit den Flüchtlingen des Algerienkrieges ein Tabu. Ali, ein Nordafrikaner, der als Harki und Unterstützer Frankreichs gilt, kommt 1962 nach Marseille. An seinem Beispiel erzählt die Autorin den »Tanz der Verlierer der Kolonialkriege«: Den Verlust von Heimat, die Erlebnisse im Transitlager, die Ankunft in einem anderen Land, die Zwangsenteignung ehemaliger Besitztümer und das Verdrängen der eigenen Wurzeln. Der dreigeteilte Roman – Flucht, Ankunft und Gegenwart – erzählt größtenteils von den Nachwehen der Flucht, die sich über drei Generationen spannen. Endpunkte sind hierbei etwa das Massaker bei Charlie Hebdo und die Angriffe im Bataclan, die Alis Enkelin Naïma als Mitarbeiterin in einer Kunstgalerie indirekt miterlebt. Bei der Organisation einer Retrospektive gerät sie auf die Spur ihrer eigenen Familie, reist nach Algerien und lernt die Bedeutungsdimensionen der Kunst des Verlierens kennen. Zeniter, selbst Enkelin eines Harkis, lässt ihren Erzähler mit der Leichtigkeit eines Märchenonkels erzählen, der seinen Lesern die Last der Bewertung und Deutung der Ereignisse stets abnimmt. Naïma, die von Seite eins an in erläuternden Gegenwartskommentaren auf die historischen Ereignisse mitgedacht wird, ist am Ende immer noch auf Identitätssuche. Das Buch will kein teleologischer Bildungsroman sein. Vielmehr aber vermittelt er die Erkenntnis, »dass ein Land nie nur ein einziges ist: Es ist […] Einwanderung und Auswanderung, […] es ist das, was es geworden ist, und die Summe seiner Möglichkeiten.« Marcel Hartwig


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