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Kaleb Erdmann

Kaleb Erdmann

Die Ausweichschule. Berlin: Ullstein 2025. 298 S., 22 €

Kaleb Erdmann.

Als Robert Steinhäuser am 26. April 2002 im Erfurter Gutenberg-Gymnasium Amok lief, 16 Menschen tötete und dann sich selbst, war Kaleb Erdmann gerade Fünftklässler an derselben Schule. Erdmann sah den Täter, aber nichts von dem Blutbad. Es ist seitdem viel geschrieben worden über diese Gewalttat, und auch Erdmann wusste, dass er sich dieser Geschichte eines Tages stellen müsste. Nur wie? Wie schreibt man über etwas, das einer ganzen Schulgemeinschaft und den Angehörigen ein kollektives Trauma verpasst hat, zumal zwanzig Jahre später? Bin ich betroffen genug? – Erdmann macht genau diese Fragen zum Gegenstand seines zweiten Romans. Die Begegnung mit einem Dramatiker, der ein Theaterstück über einen Amoklauf schreibt, gibt dem Ich-Erzähler den entscheidenden Impuls, die Notizen über ein mögliches Erfurt-Romanprojekt wieder hervorzukramen. In »Die Ausweichschule«, das für den Deutschen Buchpreis 2025 nominiert ist, erzählt er von der Schwierigkeit, ein solches Thema literarisch zu bearbeiten, ohne ins Reißerische abzurutschen. Er gräbt tief, studiert Ermittlungsberichte, trifft ehemalige Mitschülerinnen und Mitschüler, befragt sein 11-jähriges Ich. Das Besondere ist, dass Erdmann auch die Ambivalenzen auslotet; dass er versucht, eine Sprache für diesen Amoklauf zu finden. Es ist kein abgeklärter Essay, sondern ein verletzlicher, persönlicher Text. Sorgfältig trägt der Autor seine Erkenntnisse zusammen, mal pointiert, dann wieder scharf analytisch. Vor allem aber: mit Fingerspitzengefühl. Kaleb Erdmann ist ein sehr intensives und beklemmendes Buch gelungen. Immer überlegt er während des Schreibens, die Sache ruhen zu lassen. Aber er zieht durch – und das auch, weil er darin seine Verantwortung als Schriftsteller sieht. Vincent Koch


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