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André de Richaud: Der Schmerz

André de Richaud: Der Schmerz

André de Richaud: Der Schmerz. 224 S.

In Frankreich erschien André de Richauds Roman »Der Schmerz« bereits 1931. Nun liegt die erste deutschsprachige Übersetzung des Werks vor: Ein verlassenes Dorf im Süden Frankreichs. Der Erste Weltkrieg tobt weit entfernt im Norden des Landes. Thérèse Delombre war schon als Frau des Befehlshabers eine Außenseiterin im Dorf. Als der Hauptmann fällt, verblasst zwar die neidische Feindseligkeit der Dorfgemeinschaft, an ihrer Einsamkeit ändert das aber wenig. Zunächst konzentriert Thérèse sich ganz auf ihre etwas zu zärtliche Fürsorge für den zehnjährigen Sohn Georges. Des Nachts quälen sie sehnsüchtige sexuelle Fantasien. Dann kommen deutsche Kriegsgefangene in die Gegend und die Witwe beginnt ein Verhältnis mit einem der Soldaten. Als die Affäre im Dorf bekannt wird, schlägt ihr der Hass ihrer Landsleute entgegen. Der Soldat verlässt Thérèse, die bald feststellt, dass sie schwanger ist. In einem dramatischen Finale findet die völlig hilflose Frau die Erlösung im Feuertod. Weil der Roman so explizit weibliches Begehren thematisiert, löste er seinerzeit einen Skandal aus. Es ist nicht zu erwarten, dass sich dieser heute wiederholt. Trotzdem ist de Richauds Werk mitunter schwer zu ertragen, besonders wenn der Erzähler die Frau, deren Innenleben er an anderen Stellen mit aufwendigen Bildern schmückt, in entscheidenden Momenten jäh abwatscht: »Nichts ist beschämender als eine betrunkene Frau. Kein Anblick ist schmerzlicher als der einer Frau, die vor Schmerz von Sinnen ist. Thérèse war zugleich zornestrunken und tödlich verletzt.« Schade, wenn sich solche Abwertungen gegen eine eh schon entwürdigte Figur richten, ist doch im Ansatz die Absicht des Autors erkennbar, Mitgefühl für die durchaus vielschichtigen Charaktere zu schaffen und ihr Leiden an der gesellschaftlichen Doppelmoral anzuklagen. Jennifer Ressel


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