anzeige
anzeige
Anja Rützel: Saturday Night Biber

Anja Rützel: Saturday Night Biber

Anja Rützel: Saturday Night Biber. 240 S.

Anja Rützel ist nicht nur die Queen der Trash-TV-Kritik, sie ist auch der Trost für den Kater danach. Wann immer Pro7 mit einer neuen Samstagabendblödelei um die Ecke kommt oder RTL in unergründete Fremdschamgefilde vordringt, man kann sicher sein: Rützel guckt auch zu, schreibt mit und renkt einem danach mit ihrer Analyse wieder das Hirn ein. Ihr Signature-Move: Wortschöpfungen, die sie zu einer Kunstsprache verkocht, die aber nur Sinn ergibt, wenn man auch die dazugehörige Sendung geguckt hat. Der Kritikerin fallen noch spritzige Sachen über die neue Topmodel-Staffel ein, wenn das Format selbst schon wie ein armer plattgerittener Jockeygaul seine letzten Runden durch die Prime Time dreht. Die offizielle fünfte Rützel-Jahreszeit beginnt aber, wenn das »Dschungelcamp« anläuft: Zwei Wochen lang findet die Autorin dann schlaue Worte zu jeder Episode. »Ich guck Dschungel nur wegen Rützel«, kündigen vorfreudige Kenner vor jeder neuen Staffel an. Jetzt hat Anja Rützel ein Buch über Tiere geschrieben. Und nach dem ersten Satz (»Sie knurpseln.«) schreckt man kurz hoch: Ob man nicht doch wieder in einer Kritik zu »Das perfekte Promidinner« gelandet ist? Doch dann folgt eine Ich-Reportage um den ersten sanften Körperkontakt mit einem Hirschgeweih. Dann die nächste Tierreportage, diesmal eine Annäherung an die Welt der Schaben – und dann driften die Texte ab. Und es ist ein großer Spaß. Die Tiere bleiben, aber »Saturday Night Biber« wird zu einer wilden, assoziativen Erlebnisbeichte. Denn Anja Rützel ist nicht nur tierlieb, sie hat einen Spleen. Und erzählt hier aus ihrem Leben eines wunderlichen Tier-Nerds: Wie sie ganze Nächte auf Molchforen zubringt. Wie sie nach England fliegt, um für 15 Pfund 15 Minuten einen Tapir zu striegeln. Wie sie besoffene »Jüngelchen« aus der Disco abschleppt, um ihnen zu Hause ihre Blutegel anzulegen. »Saturday Night Biber« changiert zwischen dieser heiteren Ich-Erzählung und den Fun-Facts zur jeweiligen Tierart. Dabei findet Rützel Wörter für Tiere, die erst nach Druckfehlern aussehen und dann doch so treffend zuschnappen, dass der Microsoft-Word-Thesaurus von ihnen existenzielle Albträume bekommen dürfte. Prinzip der Sprache ist ein schlauer Mix aus Popreferenzen, Tierszenen und Hochkultur. Zum Thema »häusliche Biber« zitiert sie Tokio Hotel. Als sie einen Falken präpariert, muss sie an US-Gerichtsmediziner-Serien denken. Dann schwenkt sie plötzlich zu Luis Buñuel, der, vermutet sie, ihre Falken-Präparierung »heute sicher direkt mit der Handykamera gefilmt und versnapchattet hätte: Ich ploppe die Augen aus ihren Höhlen.« »Saturday Night Biber« wird manchmal deep-melancholisch, doch dann kommen flauschige Tiere und trösten einen oder machen crazy Sachen und man muss laut losprusten. Wie im echten Internet-Leben halt. Nach der Wildtier-Werdung »Being a Beast«, dem Precht’schen Grübel-Werk »Tiere denken« und Wohllebens Einfühlungswälzer »Seelenleben der Tiere« wetzt »Saturday Night Biber« als fetziger Schlager durch die proppenvolle Tierbuch-Hitliste der letzten Monate. Josa Mania-Schlegel


Weitere Empfehlungen