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Anselm Schubert: Gott essen

Anselm Schubert: Gott essen

Anselm Schubert: Gott essen. 274 S.

Über die Frage, was beim Heiligen Abendmahl eigentlich geschieht, sind die Konfessionen unterschiedlicher Auffassung: Die katholische Kirche lehrt, dass sich Brot und Wein tatsächlich in den Leib und das Blut Christi verwandeln; bei den Lutheranern ist Jesus in den »Elementen« immerhin noch gegenwärtig, und nach Calvin erinnert das Abendmahl lediglich an den Opfertod Christi. Doch ebenso trefflich lässt sich darüber streiten, welche »eucharistischen Gaben« erforderlich oder zulässig sind: Kann das Brot statt aus Weizen- auch aus Gerstenmehl bestehen? Darf das Abendmahl mit Traubensaft gefeiert werden, oder ist Alkohol unverzichtbare Bedingung des Heils? Heute mögen selbst gläubigen Christen solche Probleme abwegig oder sogar lächerlich vorkommen, aber in der Kirchen- und Theologiegeschichte spielt die Herkunft und Beschaffenheit der Abendmahlselemente durchaus eine wichtige Rolle. So hat zum Beispiel die Uneinigkeit darüber, ob gesäuertes oder ungesäuertes Brot zu verwenden sei, im Jahre 1054 den Anlass zur Spaltung zwischen römisch-katholischer und orthodoxer Kirche geliefert. Der Erlanger Kirchenhistoriker Anselm Schubert hat nun erstmals eine »Kulinarische Geschichte des Abendmahls« geschrieben. »Gott essen« ist eine überaus lehrreiche und unterhaltsame Lektüre keineswegs nur für Kirchgänger, sondern für alle, die sich ernsthaft für das christliche Abendland interessieren. Der Gottesdienst der frühen Christen war noch eine Mitbringparty; außer Brot und Wein kamen auch Weintrauben, Käse, Honig und anderes auf den Abendmahlstisch. Erst im Mittelalter stellte die Heiligkeit der Messe höchste Ansprüche an Qualität und Behandlung der Elemente, was allerlei Probleme nach sich zog: Was, wenn Mäuse sich über die Hostien hermachen? Wenn das wahre Blut Christi verschüttet oder erbrochen wird? Es erschien schlicht zu riskant, die einfachen Gläubigen davon trinken zu lassen, also blieb der Abendmahlswein dem Priester vorbehalten. Übrigens wurde den Laien keineswegs der Kelch verweigert, aber sie mussten sich mit dem »Speiswein« begnügen, mit dem zuvor der Kelch mit dem heiligen Blut ausgespült worden war. Gleichwohl wurde der »Laienkelch« zu einer schlagkräftigen Forderung der reformatorischen Bewegungen. Aber Lehre und Praxis sind zweierlei. Seit der Zeit der Entdeckungen wirft die Globalisierung erneut alte Fragen auf: Wein und (Weizen-)Brot sind nicht in allen Weltgegenden verfügbar oder erlaubt. Lässt sich nun ein gültiges Abendmahl auch mit Maisfladen, Reiswein oder Bier feiern? Die katholische Kirche verneint das beharrlich, aber die Gläubigen lassen sich davon nicht beirren. Die anglikanische Kirche hat vor Jahren einmal den Fehler begangen nachzuforschen, was für Materien in den ehemaligen Kolonien tatsächlich zum Einsatz kommen: in afrikanischen Gemeinden statt Wein gerne Fanta und Cola, in Alaska wird Walspeck gereicht, und in Polynesien übernehmen Fleisch und Saft der Kokosnuss die Rolle von Brot und Wein. Ironischerweise haben also Entkolonialisierung und Globalisierung die Abendmahlspraxis auf ihre spätantiken Anfänge zurückgeführt. Europäischen Kirchenvertretern mag das nicht gefallen, aber sie können wenig oder nichts dagegen tun. Das Christentum hat eben nicht nur die Welt verwandelt, sondern auch umgekehrt. Olaf Schmidt


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