Bertram Reinecke
Geschlossene Vorgänge. Über einige biografische Artefakte etc. Schupfart: Engeler Verlag 2022. 116 S., 12 €
Bertram Reinecke.
War es wirklich Ikaros’ Übermut oder führten technische Unzulänglichkeiten zu seinem Absturz?
Geheimnisvoll sind Bertram Reineckes »biografische Artefakte«, so der Untertitel, allemal. Zwei
Plädoyers versuchen im antiken Athen Licht in die technischen Umstände um den Tod des mythischen Ikaros zu bringen (weswegen wir ihn nicht lateinisch Ikarus nennen wollen). Ein Brief spekuliert Anfang des 19. Jahrhunderts über die Herkunft zweier Gedichtfragmente. Und die Geschichte über die rätselhaften »Hüter der Steine« auf der Insel Rügen stellt sich, das eröffnet das Nachwort, als rekonstruierter Lebenslauf aus Ende des 20. Jahrhunderts entwendeten Akten heraus. Sind diese »Hüter der Steine« wirklich ein geheimer Orden? Historisch situiert verhandelt der Band zeitgemäße Themen, etwa Verschwörungstheorien oder das wiederkehrende Verhältnis zwischen Vätern und Söhnen: »Um der Väter und Söhne willen, die folgen werden: Nicht das Fliegen war schlecht […], sondern dass ein Vater seinen Sohn nicht in die Verantwortung entließ.« Und wo es um die Tradierung des Steingeheimnisses geht, erneut: »Lernt man die ersten Fakten
schon im kindlichen Spiel, nimmt einen der Vater in der Jugend irgendwann beiseite, wie er andernorts dem Sohn einige Ratschläge, die Frauen betreffend, mitgeben mag, die selbst die Mutter besser nicht hört?« Berichten Menschen bei generationellen Fragen heutzutage meist persönlich, so schreibt Reinecke Parabeln. Jedem Trend hinterherzuhinken, langweilt zweifelsohne. Ob des virtuosen Nachahmens historischer Sprachgewohnheiten hängt die Gegenwart jedoch in der Luft. Je mehr wir uns dieser Gegenwart nähern, umso mehr drohen wir – eingeschlossen in kleine Textkapseln – aus der Zeit zu fallen wie Ikaros vom Himmel. Liegt das an der Technik oder an mangelnder geistiger Freiheit? Die geschlossenen Vorgänge bleiben insgesamt verstörend geheimnisvoll. Fabian Schwitter