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Bildungslücke – August Maurer: »Leipzig im Taumel« (1799)

Bildungslücke – August Maurer: »Leipzig im Taumel« (1799)

Bildungslücke – August Maurer: »Leipzig im Taumel« (1799). 240 S.

Ach, dieses ausschweifende Messeleben! Horden schwerbelesener Hedonisten, die »mit allem Eifer an der bestmöglichen Ausweitung ihrer Gurgeln arbeiten« und »zuweilen auch anderes als stetes Ehefleisch kosten«, tanzen unter dem Vorwand des Netzwerkens durch die Buchmessenächte. 2018 ist es meist das Putzlicht, das dem Rausch gnadenlos eine prosaischere Version der Wirklichkeit entgegenhält. 1799 war es ein Mann namens August Maurer, der jedes noch so finstere Loch der Messestadt ausleuchtete und die Exzesse unter dem Vorwand der moralischen Entrüstung detailgenau beschrieb. Sein höchstens halbfiktionaler Briefroman »Leipzig im Taumel« versetzte die lokale Bürgerschaft damals in Angst und Schrecken – denn die Namen der kein bisschen erfundenen handelnden Personen sind im Buch kaum bis gar nicht chiffriert. Schamloser, als es die Gala oder Joachim Lottmann heute tun würden, berichtet Maurer von den erotischen Abenteuern, Saufgelagen und Gaunereien des »vornehmen Pöbels«. Der eifrige Berichterstatter, der das Buch zunächst unter Pseudonym veröffentlichte und so knapp dem Galgen entging, schildert ein wohlstandsverwahrlostes Milieu, das »in Verschwendung und Üppigkeit seine größte Ehre zu suchen scheint«. Ausgiebig werden unter Hinzuziehung allerhand floraler und handwerklicher Metaphern Freudenhäuser, Penisgrößen und Geschlechtskrankheiten diskutiert. Wer danach trachtet, seine Sammlung kurioser GV-Synonyme um ein paar besonders zotige historische Beispiele zu erweitern, wird hier reich beschenkt. Clara Ehrenwerth


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