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Bildungslücke: Folge 10 – Klaus Mann: »Symphonie Pathétique« (1935)

Bildungslücke: Folge 10 – Klaus Mann: »Symphonie Pathétique« (1935)

Bildungslücke: Folge 10 – Klaus Mann: »Symphonie Pathétique« (1935). 416 S.

»Denn er litt immer.« Manchmal taugt ein schlichter Satz aus einem Roman dazu, weite Teile der Handlung zusammenzufassen. In Klaus Manns »Symphonie Pathétique« passiert äußerlich fast alles und innerlich fast nichts. Berlin, Paris, St. Petersburg, New York: Protagonist Peter Iljitsch Tschaikowsky trägt den Weltschmerz immer mit sich. So interessant, ja: berührend die Frustration, die Einsamkeit, die Krisen der historischen Figur sein mögen, in der Romanfigur werden sie zu einem monotonen Leidensbrei verkocht. Immerhin: Während Tschaikowskys zwei Kapitel währenden Aufenthalts in Leipzig zum Jahreswechsel 1887/88 ist ausnahmsweise nicht alles furchtbar. Hier gastiert er im Gewandhaus – zur Überraschung seiner Musikerkollegen, die der konservativen Leitung gar nicht zugetraut hätten, den »wilden« Komponisten aufs Programm zu setzen. Als Aufeinandertreffen von Seelenverwandten malt Mann Tschaikowskys Begegnung mit Grieg, als bissigen Schlagabtausch jene mit Brahms. Für die eindrücklichste Leipziger Begebenheit aber ist eine Handvoll musikalischer Laien verantwortlich, die sich in aller Herrgottsfrühe vor Tschaikowskys Hotel aufbauen, um den Gast mit einem Militärkapellenständchen aus dem Schlaf zu blasen. Wenn Mann wie hier pointiert szenische Vorgänge schildert, steckt die Verachtung an, wird die Figur für wenige Momente plastisch, bevor sie wieder hinter der nächsten Aufzählung emotionaler Plattitüden verschwindet. Die Erzählperspektive ist dabei so sprunghaft wie eine Ballerina beim Schwanentanz: Mal nistet sich der Autor direkt im Kopf seines tragischen Helden ein, mal stellt er die Ereignisse mit großer auktorialer Geste in den Gesamtzusammenhang des Jahrhunderts. Mittendrin erläutert er sogar auf zwei Seiten seine Faszination für den Stoff: »Unser Blick voll Ehrfurcht und Mitleid kann sich nicht satt sehen an seiner Schwermut und an dem edlen Trotz, mit dem er sie überwindet […]. Wie lieben wir das Schauspiel seines rührenden Kampfes!« Es ist, als bekäme man plötzlich den Roman gepitcht, von dem man bereits 250 Seiten gelesen hat. Manns hier artikuliertes Vorhaben, Tschaikowsky als »problematischen Riesen«, als Repräsentant für Glanz und Makel einer Epoche darzustellen, klingt tatsächlich nach einem Buch, das man gerne gelesen hätte. Leider schafft es der Roman nicht einmal, die Schultern des Riesen zu erklimmen, geschweige denn auf ihnen zu stehen. Clara Ehrenwerth


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