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Bildungslücke: Folge 25 – Werner Heiduczek: Tod am Meer (1977)

Bildungslücke: Folge 25 – Werner Heiduczek: Tod am Meer (1977)

Bildungslücke: Folge 25 – Werner Heiduczek: Tod am Meer (1977). 311 S.

Jablonski lebt. Aber lange wird das wohl nicht mehr gutgehen, das spürt er. Und deswegen will er jetzt erzählen, wie es wirklich war. Das für die Nachwelt festhalten, was man so bedeutungsvoll und mickrig als »die eigene Existenz« bezeichnet. Abbitte leisten für all die Schuld und Scheiße, die man im Laufe seines Lebens so auf sich geladen hat. Zeigen, wie die Umstände beschaffen waren, die einen so ruiniert haben. Am Anfang hat er sogar noch einen Zuhörer: Bai Dimiter, mit dem er sich im Krankenhaus am Schwarzen Meer das Zimmer teilt. Dort liegt Jablonski, der Leipziger Autor, gerade mal Ende vierzig, nach einer Gefäßblutung. Und erzählt und erzählt, und erzählt selbst dann noch weiter, als Dimiter schon längst entlassen wurde, nun mit dem Stift in der Hand. Es ist das Gedächtnisprotokoll eines zerfurchten Lebens: Kindheit in Oberschlesien, Jugend als Luftwaffenhelfer, Kriegsgefangenschaft, Flucht, Gewaltexzesse – und als alles das vorüber ist, ist er noch keine zwanzig und hängt reichlich verroht im luftleeren Raum der Nachkriegszeit. Halt- und antriebslos schlittert Jablonski durch die Aufbaujahre der DDR. Und stellt rückblickend für jede Lebensstation fest: »Was bei uns geschehen ist und geschieht, in diesem verfluchten Land, ist ganz und gar nicht so lieblich, wie es mich Filme lehren wollen und Bücher und Artikel.« In dieser unverfälschten Darstellung der jüngeren Zeitgeschichte – die Vergewaltigungen durch russische Soldaten, die totalitären Methoden der SED, die rasche Desillusionierung beim Aufbau des Sozialismus – lag die politische Sprengkraft, die das Buch bei seinem Erscheinen 1977 hatte. Die allzu wahrheitsgetreuen Schilderungen veranlassten den Apparat letztlich dazu, den Vertrieb des Romans nach der zweiten Auflage zu unterbinden. Leider gehen die eindrücklichen Szenen dieses kompromisslosen Berichts in einer staubigen Schicht ausführlicher Nabelschau unter: Selbstmitleid und Schriftstellerbanalitäten à la »Ich beherrsche nicht das Schreiben, das Schreiben beherrscht mich« füllen die Seiten. Außerdem hält es der Erzähler für essenziell, über jede noch so nebensächliche sexuelle Begebenheit Zeugnis für die Nachwelt abzulegen: »Lust empfand ich nicht, als ich auf ihrem trockenen Körper lag.« Entnervt wühlt man sich durch die Bettgeschichten und hofft auf die nächste Schilderung aus der Funktionärsversammlung. So bedeutsam »Tod am Meer« als Befreiungsschlag eines resignierten Künstlers für die damalige Zeit gewesen ist, so wenig kann behauptet werden, dass die Lektüre knapp vierzig Jahre nach der Erstveröffentlichung noch sonderlich erquicklich wäre. Clara Ehrenwerth


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