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Bildungslücke: Folge 35 – Herbert Otto: Der Traum vom Elch (1983)

Bildungslücke: Folge 35 – Herbert Otto: Der Traum vom Elch (1983)

Bildungslücke: Folge 35 – Herbert Otto: Der Traum vom Elch (1983). 280 S.

Anna wartet. Fast die ganze Zeit. Wartet auf den »Elch«: einen Geliebten, von dem sie kaum mehr weiß, als dass er zwei Mal im Jahr vorbeikommt. Er hinterlässt dann einen Zettel an ihrer Haustür, auf dem so was steht wie »Sei, wenn Du kannst, morgen, Donnerstag, 15 Uhr in Freiberg. In Sachsen das. Bahnhofsgaststätte.« Und Anna lässt alles stehen und liegen, verschiebt ihre Dienste im Krankenhaus, sagt alle Verabredungen ab und sprintet zum Bahnhof, um ein Wochenende mit dem Mann ihrer Tagträume zu verbringen. Sehr romantisch und sehr bescheuert also, wie alle großen Affären. Herbert Otto (1925–­2003), Funktionär und Schriftsteller, veröffentlichte nach einigen Sozialistischer-Realismus-Romanen 1983 »Der Traum vom Elch«, in dem es zwar immer noch um die Gesellschaft, aber auch um Erotik geht. Das Buch ist bevölkert von ungebundenen, promisken Figuren – was für die männlichen Charaktere eine selbstbewusste Lifestyle-Entscheidung, für die Frauen im Roman eher ein Schicksal ist, in das sie sich fügen, weil ihnen die »kleine Zufriedenheit« der Ehe (»Kino, Kinder, neue Gardinen«) noch unattraktiver erscheint als das emotional abwrackende Nebenfrau-Dasein. Und das sind, suggeriert das Buch, eben die zwei Alternativen, zwischen denen man sich als Frau entscheiden kann. Das redliche Bemühen des Autors, Anna und ihre beste Freundin Annette als unabhängige, starke Frauen zu schildern, die sich nehmen, was sie wollen, scheitert leider weitestgehend, weil Feminismus eben doch noch ein bisschen mehr ist, als selber mal einen Mann zum Tanzen aufzufordern. Auch die kürzlich kolportierte Behauptung, dass Frauen im Sozialismus besseren Sex gehabt hätten, lässt sich zumindest anhand der im Buch geschilderten Szenen schwer nachvollziehen. Oder wollen Sie gerne als »Körperchen« bezeichnet werden? 277 Seiten lang wartet man zunehmend genervt mit Anna darauf, dass der Elch sich mal wieder blicken lässt – und gerade, wenn man sich freut, dass sie vielleicht doch von der selbstsüchtigen Pfeife loskommt, steht der Typ auf der vorletzten Seite doch wieder vor der Tür. Und wird mit klopfendem Herzen überschwänglich begrüßt. Kein Happy End, auch wenns so gemeint ist. Clara Ehrenwerth


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