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Bildungslücke: Folge 8 – Bruno Apitz: »Der Regenbogen« (1976)

Bildungslücke: Folge 8 – Bruno Apitz: »Der Regenbogen« (1976)

Bildungslücke: Folge 8 – Bruno Apitz: »Der Regenbogen« (1976). 472 S.

Ach, der hat auch noch was anderes geschrieben? Ja, hat er – auch wenn Bruno Apitz’ literarisches Werk jenseits des antifaschistischen Evergreens »Nackt unter Wölfen« weitestgehend dem Vergessen anheimgefallen ist. Neben einer Handvoll früh entstandener Dramen und Novellen hat der Schriftsteller in seinen letzten Lebensjahren zwei autobiografische Romane verfasst, in denen er seine Kindheit und Jugend in Leipzig verarbeitete. »Der Regenbogen« (1976) erzählt von Henriette Bahlke und ihrem Sohn Arthur, die in der Zeit des Ersten Weltkriegs – wie sollte es auch anders sein – für die sozialistische Sache kämpfen. Posthum erschien 1984 die Fortsetzung »Schwelbrand«. Zu Beginn des »Regenbogens« könnte der Hoffnungsschimmer am Horizont nicht weiter entfernt sein: In einer heruntergekommenen Arbeiterwohnung bringt Henriette im April 1900 das zwölfte »und am wenigsten erwünschte ihrer Kinder« zur Welt. Sechs davon sind als »Windelflüchtlinge« bereits im Säuglingsalter gestorben, was der Erzähler brutal lapidar kommentiert: »Das Kindersterben war für die Armut der Familie wahrscheinlich ein größerer Gottessegen als das Kinderkriegen.« Die Überlebenden kriegt Henriette gerade so satt, wenn es ihr gelingt, ihren Mann am Freitagabend in der Kneipenlandschaft ausfindig zu machen, bevor er den gesamten Wochenlohn versoffen hat. So weit, so jämmerlich – doch die Geschichte nimmt schnell Fahrt auf, als Henriette beginnt, sich aus ihren elenden Verhältnissen herauszukämpfen, den Saufbold vor die Tür setzt und einen eigenen kleinen Milchladen eröffnet. Arthur, rasch zum Lieblingskind aufgestiegen, schließt sich derweil mehr aus Wissbegierde denn aus politischen Motiven der sozialistischen Jugend an, was die Mutter zunächst nicht gutheißt – bis der Krieg beginnt und sich beide auf der Seite des Widerstands wiederfinden. Was zunächst klingt wie der typische »Vorwärts immer, rückwärts nimmer«-Plot des sozialistischen Realismus, entpuppt sich stellenweise als mitreißender Revolutions-Pageturner. Stilistisch ziemlich behäbig und bei Weitem nicht frei von Kitsch, überzeugt der Roman durch vergleichsweise komplexe Figuren und wirklichkeitsnahe Schilderungen historischer Ereignisse. Ob auf Milchtour durch die Südvorstadt, bei Versammlungen im Volkshaus oder einer Schlacht am Leutzscher Bahnhof: »Der Regenbogen« blickt nicht durch die rotgefärbte Brille, sondern in überraschender Farbvielfalt auf das Leipzig vor hundert Jahren. Clara Ehrenwerth


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