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Christina Wessely: Löwenbaby & Werner Bessing: Bonn

Christina Wessely: Löwenbaby & Werner Bessing: Bonn

Christina Wessely: Löwenbaby & Werner Bessing: Bonn. 68 S.

Unauffällig und bescheiden kommen die Bücher der Punctum-Reihe von Matthes & Seitz daher, schmal in grauem Pappumschlag und trotz vieler Bilder jackentaschenkompatibel – ideale Begleitung für das Café oder die Bahn. Wer »Löwenbaby« bei den Fotos aufschlägt, wird entzückt sein, wer sie nach dem Lesen noch einmal anschaut, wird sie beklemmend finden. In ihrem Essay begibt sich Christina Wessely auf die Suche nach dem Geheimnis eines in den achtziger Jahren entstandenen, inszenierten Fotos, welches sie selbst als kleines Kind mit einem, man ahnt es, Löwenbaby zeigt – vor einer Fototapete mit Karibik-Flair. Erst hält sie die Fotografie für eine untypische Merkwürdigkeit, doch im Zuge ihrer Recherchen stößt sie auf eine ganze Löwenbaby-Kinder-Foto-Industrie. Die propagierte Tierliebe wird als Maßnahme des Artenschutzes verkauft. Dass die Löwen, die zu groß für die Fotos sind, verkauft und gegen neue Welpen getauscht werden, ist nur eine Begleiterscheinung der Ausbeutung. Vom Tiere-Erschießen für Trophäen bis zum Fotos-Schießen fürs Album: Die Zoobesucher, die heute ihre Kleinkinder vor den Guckfenstern der Gehege drapieren und Fotos machen, während eingesperrte Raubtiere mit ihren Pfoten gegen die Scheibe schlagen, sieht man nach dieser kleinen Kulturgeschichte mit anderen Augen. An »Bonn. Atlantis der BRD« wird Freude haben, wer Sätze zu schätzen weiß wie »Der Rhein ist mir ja zu breit. Oder zu flächig? Jedenfalls gefallen mir die Proportionen nicht.« Auch sollte man sich an einem in der Duschkabine eingravierten Bundesadler oder Büro-Zimmerpflanzen erfreuen können, die in ihrem ganzen Leben noch keine Sonne gesehen haben – beziehungsweise eine Neonröhre dafür halten. Werner Bessing erzählt herrlich unspektakulär, wie ihn sein Leben aus der schwäbischen Provinz der achtziger Jahre (wo der Opa noch wusste: »Der Jung’ ist drogensüchtig, das sieht man an der Frisur!«) über St. Pauli ins Berlin der neunziger Jahre und schließlich auch das von heute führte. Christian Werner fotografiert dazu im heutigen Bonn – und wir bekommen ein Gefühl für den Bruch, der durch Biografien, Familien, diese Gesellschaft und dieses Land geht, in dem nicht nur die DDR, sondern auch die piefige Bonner Republik untergegangen ist, ohne in den Köpfen zu verschwinden. »Einfach so«, wie es scheint. Einmal wird ein Hase entführt, später jemand ermordet. Gerhard Schröder bestellt ein Flutschfinger-Eis. Aber zur Tagesschau sind wir wieder zu Hause. – Als ob Sven Regener und Moritz von Uslar zusammen keinen Roman geschrieben hätten. Linn Penelope Micklitz, Benjamin Heine


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