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Christoph Hein: Verwirrnis

Christoph Hein: Verwirrnis

Christoph Hein: Verwirrnis. 303 S.

Eigentlich schätze er Christoph Heins zurückhaltende Sprache, schreibt Jens Jessen in der Zeit. Aber im neuen Roman »Verwirrnis«, der die Geschichte des schwulen Pfarrersohnes Friedewald Ringeling von den fünziger Jahren in Ostdeutschland bis hinein in die neunziger Jahre erzählt, wirke sie nicht nur zu »nüchtern«, sondern »kitschig«. Die Hauptfigur, die ihre Homosexualität ein Leben lang verheimlicht und am Ende lieber den Tod als ein Coming-out wählt, bleibe zu blass – ebenso der Ton des Buches. Einspruch, Euer Ehren! Das Gegenteil ist richtig. Die dezente Sprache des Deutschlandchronisten Hein ist die Lebensader dieses Buches. Sie schlägt leise. Aber sie passt perfekt zu Friedeward, wie das steife Hemd zu seinem Schlips, von denen sich der junge Germanistik-Überflieger nie trennt. Hier wird die Geschichte eines zurückhaltenden, schwulen, verängstigten Intellektuellen in der ihm angemessenen Sprache erzählt: taktvoll. Dieses vom Autor aus respektvollem Abstand für uns besichtigte Leben hat erotisch-pralle Beschreibungen nicht nötig, weil es seine ungeheure dramatische Wucht aus den Zeitläuften und dem Wechselspiel zwischen Politik, Moral und individueller Glückssuche bezieht. Außerdem: Friedeward liest »Tonio Kröger«, keine Gay-Pornos. »Verwirrnis« ist auch ein Leipzig-Buch. Es spielt unter anderem im Waldstraßenviertel, im Café Corso und in der Universität eines Hans Mayer und Ernst Bloch. Professoren, die Mayer nach dessen Vertreibung verunglimpften, dadurch sehr schnell einen festen Posten bekamen und bis in die neunziger Jahre hier unterrichteten, werden mit Klarnamen benannt. Aber auch vor dem radikalen Abbau von Ost-Professoren durch die sächsische CDU-Regierung nach der Wende macht der Roman nicht halt. Was für ein Stoff! Man darf gespannt sein, wann es zu »Verwirrnis« in der Leipziger Universität ein erstes Literaturseminar gibt. Sofie Schneider


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