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Christoph Martin Wieland

Christoph Martin Wieland

Schlauer als »Harry Potter«: Wielands später Roman »Agathodämon«

Christoph Martin Wieland. 308 S.

Auf kaum einen deutschen Schriftsteller passt Lessings berühmte - eigentlich auf Klopstock gemünzte - Bemerkung, dass unsere Klassiker zwar gelobt, aber nicht gelesen würden, besser als auf Christoph Martin Wieland (1733?1813). Leider. Denn Wielands Versepen und Romane sind auch heute noch eine nicht nur lehrreiche, sondern überaus vergnügliche Lektüre. Allerdings, das muss man schon zugeben, ist seine 18.-Jahrhundert-Antike für uns denn doch ein sehr fremder Planet, und an seine meisterhaft-eleganten Perioden muss man sich erst einmal gewöhnen. Dann allerdings wird die Wieland-Lektüre zu einem unvergesslichen Genuss, den sich jeder, der Deutsch lesen kann, unbedingt gönnen sollte.Das gilt auch für seinen Roman »Agathodämon« von 1799, den Wieland selbst für seinen besten hielt. Die Handlung ist schnell erzählt: Hegesias berichtet in Briefen seinem Freund Timagenes über eine Begegnung mit dem Einsiedler Agathodämon (»guter Geist«), der ihm die Geschichte seines Lebens erzählt. Agathodämon ist kein anderer als der antike Wunderguru Apollonios von Tyana, der zu seinen besten Zeiten sogar Jesus Christus Konkurrenz gemacht hat. Obwohl Apollonios auch im Ruhestand der alten Philosophie anhängt, kann er dem Christentum einiges abgewinnen und hält es für die Religion der Zukunft - welche er denn auch erstaunlich präzise, bis hin zu Reformation und Aufklärung, vorhersagen kann.Wie Wieland in bester Aufklärer-Manier an den Grundfesten der Religion rüttelt, um zu guter Letzt dann doch das Christentum zu retten (Jesus ist nicht gestorben, sondern nur ohnmächtig gewesen, war sich dessen aber selbst nicht bewusst und glaubte, tatsächlich auferstanden zu sein), das ist echt oldschool und allein als intellektueller Drahtseilakt spannend. Gleichzeitig sieht man daran aber auch, wie wenig der gute Papa Wieland zuletzt noch von den geistigen Entwicklungen seiner Zeit mitbekommen hat: Kant spielt bei ihm offenbar keine Rolle, und man bedenke, dass im selben Jahr wie der »Agathodämon« die berühmten Reden des Romantikers Schleiermacher »Über die Religion« erschienen sind. Inhaltlich und formal war Wielands Altersroman schon 1799 hoffnungslos überholt.Trotzdem, ich kann mir nicht helfen, das macht das Buch für mich gerade so sympathisch und anrührend - und, bei Zeus, der Aufklärer Agathodämon ist doch viel schlauer und unterhaltsamer als der pubertäre Zauberlehrling Harry Potter! Jawohl, zur Hölle mit Potter! Und das deutsche Volk soll gefälligst seine Klassiker lesen. Olaf Schmidt


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