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Christos Chryssopoulos: Parthenon

Christos Chryssopoulos: Parthenon

Christos Chryssopoulos: Parthenon. 104 S.

Rumms! Die Schutzgöttin wird obdachlos. Nur kurz flackert die Explosion auf, dann fliegt der Parthenon in die Luft. Athenes Tempel ist futsch, die nach ihr benannte griechische Hauptstadt ohne Wahrzeichen. Die Akropolis ist perdu, der Akt der Befreiung gelang. Christos Chryssopoulos macht Tabula rasa in seinem Roman »Parthenon«. Sein als Mosaik aus Zeugenaussagen, Täterreflexionen, Manifesten und Polizeiprotokollen montierter Text zielt auf den Kern griechischen Selbstbewusstseins – und zugleich auf das Symbol der Stagnation des Landes, wie der Antikensprenger sagen würde. Mit Verve macht sich Chryssopoulos daran, die heilige Stätte zu schleifen. Lustvoll liest sich die Vorfreude seines Protagonisten, die der später aufgelistete Forderungskatalog eines Künstlerkollektivs mit dreifachem Imperativ ideologisch unterfüttert: »Unseren ersten Zerstörungsakt mit der Sprengung und dem vollständigen Abriss des Parthenon zu vollziehen, der uns im wahrsten Sinne des Wortes die Luft zum Atmen nimmt«: Die Fixierung auf das Alte lähme alle neuen Denkbewegungen; die Gesellschaft komme nicht voran, der antike schöne Schein sei leer. Hinter dem Text steckt mehr als behauptete Avantgarde. Denn er berührt Identitätsfragen des gegenwärtigen Griechenland. Nicht zufällig, mag man vermuten, ist er 2010 entstanden, als die EU-Austeritätspolitik das ohnehin von der Wirtschaftskrise gebeutelte Land gängelte. Das Verhältnis zu sich selbst, zu Europa, zur Geschichte und natürlich das Ringen um Zukunft galten mehr denn je als wichtige Verhandlungssache. Diese Platz-für-Neues-Attitüde macht den Roman trotz schwierigen Themas zur leichten Lektüre, was Kürze und Prägnanz unterstützen. Übrigens flog der Parthenon schon einmal in die Luft: Als die Venezianer 1687 die osmanisch besetzte Stadt belagerten, explodierte der zum Munitionslager umfunktionierte Tempel und wurde dabei schwer beschädigt. Tobias Prüwer


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