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Claudia Schumacher

Claudia Schumacher

Liebe ist gewaltig. München: dtv 2022. 373 S., 22 €

Claudia Schumacher.

Juli Ehre ist das jüngste von vier Kindern in einer von Gewalt und Menschenverachtung gezeichneten Familie: Der Vater verträgt keinen Widerspruch und schlägt Frau und Kinder. Doch nach außen muss die Fassade wohlsituierter Bürgerlichkeit gewahrt bleiben. Die suizidale Juli beginnt als Zwölfjährige ein »Selbstmordtagebuch«, hin- und hergerissen zwischen der Liebe zur Mutter – »ein Hitmix aus Scarlett O’Hara und der Pietà« – und abgrundtiefem Hass auf ihren Vater. Dazu kommt der Beschützerinstinkt für ihren Bruder, der unter der Gewalt des Vaters am meisten leidet. Er ist wie sie ein Opfer und doch immer wieder ihr Retter in größter Not: »Bruno war immer nur eins: Rettung. Wir hüteten, was übrig war von der Seele des anderen.« Juli ist hochintelligent, geht zum Mathematikstudium nach Berlin und beginnt eine Promotion. Nebenbei zockt sie mit Videospielen, wird richtig erfolgreich mit ihrer Gruppe, gewinnt fette Preisgelder und kann von ihren Einnahmen gut leben. Aber sie verkommt seelisch und körperlich, wird tablettenabhängig, eine lesbische Liebe gibt ihr kurzfristig Halt, aber ihre Partnerin verlässt sie und Juli gleitet tiefer in menschliche Abgründe. Nach einer weiteren gescheiterten Beziehung zu einem in der Schweiz lebenden Sachsen findet sie mit ihrem Bruder die Kraft zum Neuanfang. Die anrührende Geschichte schildert die Autorin in erzähltechnischer und sprachlicher Vielfalt – vom Jargon der Zocker und Großstadtkids bis zur nüchternen Sprache des unpersönlichen Erzählers – und bereichert diese mit vielen literarischen Anspielungen. Kein Buch zum entspannten Schmökern, aber auf jeden Fall eine lohnende Geschichte über menschliches Elend und die Verlogenheit braver Bürger in der schwäbischen Provinz. Joachim Schwend


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