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D Hunter

D Hunter

Auf uns gestellt. Armutsklasse, Trauma und Solidarität. Aus dem Englischen von Isabelle Suremann. Hamburg: Edition Nautilus 2023. 256 S., 20 €

D Hunter.

»Auf uns gestellt« erzählt davon, wie Menschen zerstört werden. Von herrschaftlichen Strukturen und den davon bereits Beschädigten, die diese Beschädigung an ihre Nächsten und Nachkommen weitergeben. Was dadurch entsteht, ist weniger ein Kreislauf als ein Geflecht der Gewalt, in dem Handlungen, die dem (gemeinschaftlichen) Überleben und dem Erhalt der eigenen Würde dienen, und Handlungen, die die Gewaltgeschichte fortschreiben, manchmal ein und dasselbe sind. D Hunter, der in Verhältnissen »unterhalb der Arbeiterklasse« aufwuchs, fing in der Psychiatrie an zu lesen; sein erstes, im Selbstverlag herausgebrachtes Buch »Chav Solidarity« stieß auf große Resonanz. »Auf uns gestellt« kombiniert Theorie und persönliche Erfahrung zu einer Form der Autoethnografie. Dabei verweigert sich Hunter einer Einordnung in Gut und Böse – sowohl, was die Menschen in seinem Leben, als auch, was ihn selbst angeht. Sein Buch fordert heraus, nicht nur wegen der darin geschilderten Brutalität, sondern auch weil der Autor das Konzept der individuellen Verantwortung, der Individualität als Ideal überhaupt, begründet in Frage stellt. Seine These lautet, dass die strukturelle und konkrete Gewalt, der Angehörige der Armutsklasse ausgesetzt sind, bewusste Entscheidungen nahezu verunmöglicht. Das Gefängnissystem trägt indes nicht zur Heilung bei, sondern verfestigt die Logik der Unterdrückung. Hunter sieht die einzige Lösung daher im Ansatz der transformativen Gerechtigkeit, einem Community-basierten Konzept, das Sicherheit, Reparation und kollektive Transformation ohne Anrufung der Staatsmacht zu erlangen versucht. Seine Frage lautet nicht: »Wie kommt es, dass jemand kriminell und/oder gewalttätig wird?«, sondern: »Welche Bedingungen müssen erfüllt sein, dass man es nicht werden muss, und wie sehr haben diese Bedingungen mit der Ungleichverteilung von Ressourcen in unserer Gesellschaft zu tun?« Unbedingt lesenswert. Anna Kow


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