Gabriele Tergit
Im Schnellzug nach Haifa. Herausgegeben und mit einem Nachwort versehen von Nicole Henneberg. Frankfurt/Main: Schöffling & Co. 2024. 256 S., 28 €
Gabriele Tergit.
Im November 1933 kam Gabriele Tergit mit ihrem Sohn im britischen Mandatsgebiet Palästina an, wo ihr Mann Heinz Reifenberg bereits als Architekt arbeitete. Zuvor lebte die deutsche Autorin und Journalistin im tschechoslowakischen Exil, nachdem die Nazis sie in der Nacht vor der Reichstagswahl bedroht hatten. Die liberale Jüdin Tergit fühlte sich ihrer Geburtsstadt Berlin eng verbunden – der Schmerz über die verlorene Heimat prägt viele ihrer Texte, die in Palästina zwischen 1933 und 1938 entstanden und nun im Band »Im Schnellzug nach Haifa« versammelt sind.
Doch Tergit trat dem Unbekannten offen entgegen. Sie schildert Geografie und Klima des ihr fremden Landes ebenso interessiert wie die Städte, in denen muslimische, jüdische und christliche Bewohner nebeneinander lebten. Einigen Raum nehmen die jüdischen Gemeinschaftssiedlungen
als mal idealistische, mal pragmatische Form des Wohnens und Wirtschaftens ein.
Porträts bestimmen die zweite Hälfte des Bandes. Überschriften wie »Frommer aus Deutschland« oder »Junger Mann aus Polen« suggerieren Distanz, doch Tergits Stil ist immer anteilnehmend. Deutlich werden die verschiedenen Herkünfte der Einwandernden und welche Hoffnungen sie in die neue Heimat setzten. Während sie alle am Aufbau einer jüdischen Gesellschaft arbeiteten, führte die arabische Bevölkerung ein meist traditionelles, oft entbehrungsreiches Leben.
Tergit ahnte, dass aus diesem Nebeneinander kein gemeinsamer friedlicher Staat entstehen würde. 1938 ging sie – auch aus diesem Grund – mit ihrer Familie nach London, wo sie bis zu ihrem Tod 1982 lebte. Angesichts des andauernden Nahostkonflikts öffnen Tergits Texte aus den Jahren vor Israels Staatsgründung ein kleines Zeitfenster und machen Geschichte wie Gegenwart greifbarer. Andrea Kathrin Kraus