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Eskandar Abadi: Aus dem Leben eines Blindgängers

Eskandar Abadi: Aus dem Leben eines Blindgängers

Eskandar Abadi: Aus dem Leben eines Blindgängers. Greifswald: Katapult 2022. 320 S., 22 €

Aus dem Leben eines Blindgängers.

Es ist 1980, seit einem Jahr wütet in Persien die Islamische Revolution. Zwei junge Männer, beide von Geburt an blind, wollen das Land verlassen. Während der unauffällige Musa die iranisch-türkische Grenze passieren darf, wird Nader von den Revolutionsgarden festgenommen – und verschwindet ohne jede Spur. Zurück bleibt eine schwere Aktentasche voller Notizen, die Nader geistesgegenwärtig kurz vorher seinem Freund in die Hand gedrückt hatte. Für Musa wird diese Tasche zum Bleigewicht am Bein. Längst lebt er in Frankfurt und schlägt sich, desillusioniert und resigniert, mehr schlecht als recht durchs Leben – bis er sich entscheidet, die Tasche zu öffnen und die Notizen seines Freundes in eine Erzählung zu verwandeln. So wird Naders chronologisch erzählte Lebensgeschichte – von seiner Geburtüber die Aufenthalte in Blindeninternaten, Studium, Geigenspiel und Politisierung bis hin zu jener missglückten Flucht – immer wieder von Musas Kommentaren aus der Jetzt-Perspektive unterbrochen. Eskandar Abadi, der, selbst geburtsblind, seit seiner Flucht 1980 als Journalist und Musiker in Deutschland lebt, bietet mit diesem thematisch gewichtigen Buch Einblicke in das vorrevolutionäre Persien – und räumt gleichzeitig mit vielen Vorurteilen gegen Blinde auf. Eine spannende Geschichte, der ein Hauch orientalisches Märchen innewohnt. Der sprachliche Duktus riecht zwar deutlich nach Datteln und Safran, verlangt aber nach Geduld: Wie bei einem persischen Festmahl werden nacheinander immer weitere Schälchen gebracht, eine neue Kanne Tee aufgebrüht, und bis man zu der ersehnten Wasserpfeife gelangt ist, haben sich die einzelnen Geschmäcker längst vermischt und überlagert. Martina Lisa


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