Frau Architekt – Seit mehr als Jahren: Frauen im Architekturberuf

Wer die Straße »Am Kanal« gen Lindenauer Hafen radelt und davor am »Mörtelwerk« eine Getränkepause einlegt, der hat kurz vorher auf der linken Seite eine Kindertageseinrichtung passiert. Sie ist rein äußerlich nicht besonders spektakulär, aber historisch gesehen ein sehr wichtiger Bau. Es handelt sich um das Kinderwochenheim »Zukunft der Nation«, das 1955 für die Baumwollspinnerei entstanden ist. Federführend bei diesem Modellprojekt war Karola Bloch, die Ehefrau des Philosophen Ernst Bloch. Sie hatte an den Technischen Hochschulen in Wien und Berlin Architektur studiert und 1934 ihr Diplom in der Schweiz abgelegt. Aus dem Exil in den USA war das Ehepaar 1949 nach Leipzig gezogen. Karola Bloch erarbeitete als Architektin für die Deutsche Bauakademie Standardmodelle für Kindertageseinrichtungen. Sie ist eine von insgesamt 22 porträtierten Architektinnen und Gestalterinnen, denen das Deutsche Architekturmuseum in Frankfurt am Main eine Sonderausstellung unter dem Titel »Frau Architekt – Seit mehr als 100 Jahren: Frauen im Architekturberuf« bis zum Internationalen Frauentag widmet. Der sehr empfehlenswerte Katalog geht weit über die Ausstellung hinaus und verweist auf die vielen Lücken in der Architekturgeschichte – wie bereits das Cover zeigt. Darauf ist die Architektin Ingrid Biergans zu sehen, die im Westberlin der sechziger und siebziger Jahre Schulbauten entwarf. Wer über sie einen eigenständigen Artikel analog oder auf Wikipedia sucht, wird nicht fündig. Das Buch möchte »Frauen in der Architektur besser sichtbar« werden lassen, »ihnen Gesicht und Stimme geben«. Dazu werden Architektinnen einzeln porträtiert: von der ersten deutschen Architektin Emilie Winkelmann bis Almut Grüntuch-Ernst, deren Büro die Höfe am Brühl entwarfen, und Themen – wie der Ost-/West-Vergleich, männliche Netzwerke oder Aktivistinnen – analysiert. Eine wichtige Publikation, deren Inhalt dringend Eingang in das Allgemeinwissen finden sollte. Britt Schlehahn