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Gunnar Kaiser: Unter der Haut

Gunnar Kaiser: Unter der Haut

Gunnar Kaiser: Unter der Haut. 528 S.

»Unter der Haut« ist ein echter Schmöker: dick, mit Schockelementen versehen, aber auch mit einer komplexen Erzählstruktur. Die Handlung beginnt im New York des Sommers 1969: Der 20-jährige Jonathan sollte eigentlich seine Zeit in der Uni verbringen, er studiert aber lieber die jungen, schönen Frauen auf der Straße. Der Erfolg bei jenen stellt sich jedoch erst ein, als er sich mit dem älteren mysteriösen Josef Eisenstein zusammentut. Der ist ein Bibliomane – doch wie Jonathan im Lauf ihrer Bekanntschaft erfährt, interessiert den Mann weniger das gedruckte Wort als die exquisite Aufmachung der Werke. Neben dieser kurzen, intensiven Freundschaft schildert Kaiser, wie die Stadt von den Gräueltaten eines Mädchenmörders in Atem gehalten wird, der seine Opfer gehäutet zurücklässt. Zudem lernt der Leser Eisensteins Lebensgeschichte kennen: Geboren 1919 in Weimar, von seinen Eltern nicht geliebt, später abgeschoben an eine Verwandte. Das Nazi-Regime überlebt der Jude Eisenstein, indem er seine Herkunft verleugnet. Er verfällt früh den Büchern, lernt die Buchbinderei und verzehrt sich nach dem einen ganz besonderen Werk. Seine Gier, es selbst zu erschaffen, ist stärker als die Liebe zu einer Frau. »Unter der Haut« handelt von der Besessenheit nach Schönheit – eine wahnhafte Liebe, die zur Perversion führt. Die Stellen, in denen Kaiser das Häuten der jungen Frauen schildert, sind verstörend zu lesen. Präzise und distanziert geht der Mörder zu Werke. Er hat das eigene Leid so gut verdrängt, dass er andere umso rücksichtsloser zu Opfern machen kann. Der Leser wird durch diese Erzählperspektive wider Willen zum Komplizen des Verbrechers. Für einen Debütroman ist »Unter der Haut« erstaunlich ausgereift. Die emotionale Taubheit der Protagonisten schränkt das Lesevergnügen jedoch ein. Andrea Kathrin Kraus


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