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Hans Pleschinski: Wiesenstein

Hans Pleschinski: Wiesenstein

C.H. Beck

Hans Pleschinski: Wiesenstein. C.H. Beck 2018. 549 S.

Sein Familienname war Programm – mit Betonung auf dem ersten Teil. Gerhart Hauptmann inszenierte sein Leben als das eines Dichterfürsten: Feste, Diener, Luxus. Hoch oben residierte er in seiner Villa Wiesenstein im Riesengebirge. Als Nummer eins. Weit unter ihm stand der andere deutsche Literaturnobelpreisträger. Dem fehlte das Haupt vor dem Mann. Dennoch hatte sich dieser »Dr. Spitz« – sein richtiger Name durfte auf Wiesenstein nicht genannt werden – im »Zauberberg« über den schlesischen Künstlergiganten erhoben und ihn als trunkenen Dampfplauderer Peeperkorn lächerlich gemacht. Aus Neid und Missgunst. Mag sein, dass dieses Selbstbild Hauptmanns in den dreißiger Jahren des vergangenen Jahrhunderts durchaus mit der Wirklichkeit korrespondierte. Als Naturalist, der dem Volk aufs Maul und in sein einfaches, armseliges Leben schaute, war der Autor der »Weber« und des »Bahnwärter Thiel« tatsächlich sehr beliebt. Heute ist uns der Gewerkschafts-Goethe mit seinen späten mythologischen Beschwörungen, entsprungen tiefstem naturphilosophischem Ernst, seltsam fremd – und der ironische Erzähler sowie späte Demokrat Thomas Mann viel näher. Doch liegen die beiden wirklich so weit auseinander? War Hauptmann am Ende nicht nur ein nützlicher Vorzeige-Promi des Dritten Reichs? Sind seine Texte nicht endgültig von gestern? Dreimal nein. Wer Hans Pleschinskis erschütternde, einfühlsame, aber dennoch niemals unkritische Schilderung von Hauptmanns letzten Monaten zwischen Leben und Tod, Deutschland und Polen, Hoffnung und Verzweiflung, Genie und Überschätzung liest, kommt zu einer differenzierteren Sicht auf den alten Mann und seine untergehende Welt. Fleißig recherchiert, kunstvoll geschrieben, spannend erzählt und passgenau mit Originaltexten gespickt – besser kann ein historischer Roman kaum sein. Sofie Schneider


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