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James Baldwin: Nach der Flut das Feuer

James Baldwin: Nach der Flut das Feuer

James Baldwin: Nach der Flut das Feuer. 128 S.

Kann ein Essay aus den Sechzigern über Rassismus und Religion seine Gültigkeit bis in die Gegenwart bewahren? Ja, wenn der Essay »Nach der Flut das Feuer« heißt und von James Baldwin stammt! Dass dem so ist, liegt nicht daran, dass sich die Lebensrealität von People of Color seitdem nicht verändert hätte, auch nicht daran, dass Baldwin so unpräzise schreibt, dass seine Texte auf alle Zustände passen. Nein, es liegt daran, dass Baldwin den Kern und die Folgen von Rassismus analysiert und begrifflich fassbar gemacht hat, so dass die Erkenntnisse in seinen Schriften trotz der Veränderungen der rassistischen Ausprägungen in unseren Gesellschaften ebenjene perfekt beschreiben, weil sie im Kern stets gleich geblieben sind. »Hautfarbe ist keine menschliche oder persönliche Realität; sie ist eine politische Realität.« In dem Brief an seinen Neffen, der dem Essay vorangestellt ist, schreibt Baldwin: »Du bist in eine Gesellschaft hineingeboren, die Dir mit brutaler Offenheit und auf vielfältigste Weise zu verstehen gibt, dass Du ein wertloser Mensch bist.« Er beschreibt, wie er selbst als Jugendlicher zur Religion fand, zu Gott, weil er befürchtete, sich selbst ebenso zu sehen, wie die Weißen es taten, und auf der Straße zu landen. »Die Brutalität, mit der Schwarze in diesem Land behandelt werden, lässt sich gar nicht übertreiben, auch wenn die Weißen das noch so ungern hören.« Das war so, als die Kolonialmächte Teile der Bevölkerung in den afrikanischen Ländern versklavten, das war in den sechziger Jahren so, als Baldwin den Schluss zog, dass »Hundert Jahre Freiheit« (er bezieht sich hier auf das Jubiläum der Emanzipationsproklamation, die die Abschaffung der Sklaverei in den Südstaaten 1862 einläutete) zu früh gefeiert wurden, und das gilt noch heute – weiße Polizisten erschießen Menschen, ohne dafür zur Rechenschaft gezogen zu werden, Racial Profiling ist an der Tagesordnung, im Mittelmeer ertrinken Familien; und die Welt sieht zu. »Ein paar Jahre früher hätte ich diese Leute noch von ganzem Herzen gehasst, jetzt bemitleide ich sie, bemitleide sie, um sie nicht verachten zu müssen«, schreibt Baldwin und schlussfolgert, nachdem er sich von der Kirche wieder abwendet: »Wenn Gott als Idee überhaupt einen Wert oder Zweck hat, kann es nur der sein, uns größer, freier und liebevoller zu machen. Wenn Gott das nicht schafft, ist es an der Zeit ihn loszuwerden.« Wer Baldwin liest, geht verändert daraus hervor – größer, freier, liebevoller. »Nach der Flut das Feuer« ist das Buch der Bücher. Linn Penelope Micklitz


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