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Jan Kuhlbrodt

Jan Kuhlbrodt

Langweilig! - In »Vor der Schrift« scheitert Jan Kuhlbrodt an der Erinnerungsarbeit

Jan Kuhlbrodt. 168 S.

Lord Chandos verzweifelte wortreich an ihr, den Poststrukturalisten war sie lebenslange Hassliebe: die verschriftete Sprache. Schreiben heißt Setzen, heißt Ende der Unschuld und Zwang in die Bedeutung. Damit kämpft auch Jan Kuhlbrodt in seinem neuen Buch »Vor der Schrift«. Und scheitert.Vor der Schrift ist vor der Wende. Chemnitz heißt noch Karl-Marx-Stadt, und das Schreiben spielt noch keine Rolle - zumindest für den kleinen Jungen im Vorschulalter, der Kuhlbrodt in seiner Zeit »vor der Schrift« ist und der sich vor allem für kandierte Erdnüsse und Maschinenschrott begeistert. Auf einer autobiografischen Spurensuche erschreibt sich Kuhlbrodt die verschiedenen Stationen seiner Kindheit in der DDR. Sehr persönliche Erinnerungsfragmente fügen sich lose zu melancholischen Erzählungen: über die dominante Urgroßmutter, verschimmelte Mietwohnungen und neue Plattensiedlungen, über Wort- und Ortlosigkeit. Einen roten Faden gibt es im Text nicht - wohl aber in den Zeichnungen, mit denen Stefan Walter Melzner das Buch liebevoll illustriert hat. Da taucht immer wieder eine gezackte Linie auf, die trennt oder verbindet, einmal erinnert sie an eine Wimpelkette, dann wieder an Zahnreihen oder Stacheldrahtzäune. Zwischen verspielter Naivität und ironischer Reflexion changiert auch Kuhlbrodts Erinnerungsarbeit. Eine perspektivische Gratwanderung, die leider nicht durchgängig überzeugt und vor allem den Leser auf der Strecke lässt. Keine Frage: Kuhlbrodt ist geistreich und der pointierte Gedankenspaziergang sein Terrain. Doch wenn auf den Höhen des Textes aphoristische Zuspitzungen glänzen, dümpelt im Flachland allzu oft die seichte Anekdote. Es ist einfach langweilig. Aber nach allem hat Kuhlbrodt seine autobiografische Selbstverständigungsreise im Grunde wohl nur für einen einzigen Leser geschrieben: für sich selbst. Stephanie Bremerich


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