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Joris-Karl Huysmans

Joris-Karl Huysmans

Die Schwestern Vatard. Aus dem Französischen von Gernot Krämer. Berlin: Friedenauer Presse 2021. 269 S., 20 €

Joris-Karl Huysmans.

Allein schon, wie er einen Starkregen toben lässt; wie er das Rangieren von Lokomotiven als höllisches Spektakel inszeniert; wie er seitenlang den Nippes der »Ramschreligion« oder die Ödnis von Familienfotos besichtigt; wie er ein Parfüm als »Kräutersoße« verspottet; und wie oft die Peitsche des Semikolons knallt, sein bevorzugtes Satzzeichen. Großartige, kompromisslose Literatur von 1879: Bei diesem Huysmans gerät man aus dem Häuschen. Alles an seinem Zweitling »Die Schwestern Vatard« ist zu feiern. Zunächst die Entdeckung, dass jener Roman aus Zolas Schule endlich auf Deutsch zu haben ist. Sodann die Schönheit der Broschur, die gepfefferte Übersetzung, das elegante Nachwort, der fingierte Artikel, mit dem Huysmans sich selbst porträtierte (und kritisierte). Ein Like noch für seinen Satz: »Einem Mann aus Leipzig werde ich mich immer näher fühlen als einem aus Marseille.« Das Buch folgt dem Programm des Naturalismus, indem es proletarisches Leben ohne sittsame Schonung zeigt, Schockwörter inklusive. Zwei junge Frauen der Pariser Unterschicht tragen die Handlung, ihre Triebe und Träume sind eng umrissen. Sie arbeiten in einer Buchbinderei, die ein faszinierender Mikrokosmos ist; Céline sucht nebenher Amüsement und Liebschaften, Désirée wartet auf kleinbürgerliches Glück. Überhaupt wird viel auf Männer und ihre Entschlüsse gewartet, es regnet ständig, Alkohol fließt reichlich. Selten Trost geben schäbige Kaschemmen und Stundenhotels, eine Kirmes und billige Varieté-Theater. Solchen 08/15-Stoff wandelte Huysmans mit ätzendem Sarkasmus zum grellen Milieubild, das seine Gabe des malerischen Blicks beweist. Erst 2019 fand er mit der »Pleïade«-Ausgabe zur Kanon-Ehre in Frankreich; nun stellen ihn auch die »Schwestern« ins beste Licht. Sven Crefeld


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