Judith Koelemeijer
Mit dem ganzen Herzen. Das furchtlose Leben der Etty Hillesum. 1914–1943. Aus dem Niederländischen von Simone Schroth. München: C. H. Beck 2024. 607 S., 34 €
Judith Koelemeijer.
Nach der Publikation von Etty Hillesums Tagebüchern (s. logbuch 03/24) ist auch ihre Biografie erschienen: Hillesum war Zeitzeugin der Nazi-Diktatur in den Niederlanden. Das Buch ist nicht chronologisch, sondern thematisch strukturiert, mit Informationen zu ihren Freunden, Juden
und Nicht-Juden, und prägenden Einflüssen. Wenn die Fakten fehlen, schildert die Autorin ihre Recherchen, Vermutungen und Schlussfolgerungen, und so ist die Biografie auch ein Forschungs- und Geschichtsbuch.
Hillesums Familie waren keine orthodoxen Juden, aber sie wuchs als »jüdisches Mädchen« auf und fand durch ihre Erfahrungen zu ihrer jüdischen Identität. Sie beschreibt ihre Stimmungen, Ängste und Hoffnungen – »Das wird schon nicht so schlimm« – in ihrem engsten Freundeskreis. Eine innere Ruhe gibt ihr die Verpflichtung, ihren Landsleuten beizustehen
auf ihrem Weg in die Lager und letzten Endes in die Gaskammern. Auch sie selbst muss im September 1943 mit ihren Eltern und ihrem jüngeren Bruder in einen Transport nach Auschwitz. Das Rote Kreuz nennt den 30. November 1943 als ihr Todesdatum.
Ihre Freunde versuchten immer wieder, sie zum Untertauchen im Netzwerk des Widerstands zu bewegen – was sie stets ablehnte. Denn sie sah sich selbst als Teil der jüdischen Geschichte und leitete daraus ihre Pflicht zur »Basisarbeit« ab, als das »denkende Herz der Baracke«. Hillesums Traum war, dass die Menschen nach dem Horror des Nationalsozialismus »aus dem Schlamm kämen, als eine bessere, liebevollere Art Menschen«. Sie wollte eine »kleine Stimme« sein, die sich gegen Hass und Pauschalurteile auflehnt. Ihr letztes Lebenszeichen ist eine Karte, die sie aus dem Güterwagen des Transports nach Auschwitz warf und die gefunden und auf die Post gebracht wurde. Joachim Schwend