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Juli Zeh

Juli Zeh

Antigone lässt grüßen

Juli Zeh. 264 S.

Da ist er endlich, der Roman zum Nichtraucherregelungswahnsinn. Obwohl, ein Roman ist es nicht wirklich. Der Untertitel von »Corpus Delicti« heißt »Ein Prozess«. Juli Zeh entwirft in diesem Buch eine Science-Fiction-Gesellschaft, die sich dem Diktat der Gesundheit unterworfen hat. Das System heißt nicht mehr Christentum oder Demokratie, sondern »Methode«. Das höchste Ziel des Lebens ist, gesund zu sein. Wer nicht die vorgeschriebenen Kilometer auf dem Hometrainer absolviert oder die ihm gemäße Dosis an Proteinen und Kohlenhydraten einhält, wer im freigeistigen Räsonieren versinkt, der ist methodenfeindlich. So wie Mia Holl, die es sich erlaubt, um ihren Bruder zu trauern, obwohl dies ausdrücklich nicht gewünscht wird, weil es dem gesellschaftlichen Höher-Weiter-Schneller-Prinzip zuwiderläuft. Antigone lässt grüßen.»Corpus Delicti« war als Theaterstück geplant, und das ist dem umgeschriebenen Text anzumerken. Die Dialoge sind brillant, jedoch teilweise von Schiller‹scher Pathos, dass einem schwindelt. Da sprechen keine Menschen, sondern Figur gewordene Ideen. Sie sagen tolle Sätze wie »Das Mittelalter ist keine Epoche, sondern der Name der menschlichen Natur.« Gefragt nach ihrem letzten Wunsch antwortet Mia Holl ganz klassisch, sie wolle noch eine Zigarette. Natürlich geht es nicht ums Qualmen, es geht - wie in einem guten Dürrenmatt-Stück - um philosophische Fragen. Wer bestimmt, was uns glücklich machen soll? Kann das nicht jeder nur für sich allein herausfinden? »Corpus Delicti« beschreibt, wie aus Überzeugten Überzeugungstäter werden und dass jede Idee, sobald sie in Stein gemeißelt wird, zur Begründung für Totalitarismus herhalten kann. Insofern haben wir es mit einem Drama in der Tradition der Aufklärung zu tun. Letztere besteht bekanntlich darin, den Mut zu haben, sich seines eigenen Verstandes zu bedienen. Zeh zeigt uns, wie es geht. Jonas Jöche


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