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Kathrin Röggla

Kathrin Röggla

Laufendes Verfahren. Frankfurt am Main: S. Fischer 2023. 208 S., 24 €

Kathrin Röggla.

Kathrin Röggla schreibt in ihrem neuen Roman »Laufendes Verfahren« über den »größten Nachwendeprozess in der Bundesrepublik«, den NSU-Prozess gegen Beate Zschäpe und weitere Angeklagte, und seine Folgen. Röggla dokumentiert nicht nur die Verfehlungen und blinden Flecken des Oberlandesgerichts München (etwa die Verwicklungen des Verfassungsschutzes in den sogenannten NSU-Komplex, den behördlichen Rassismus, der den Opfern und ihren Angehörigen noch im Urteil entgegenschlägt, oder den blanken Hohn der rechten Szene gegenüber dem Verfahren), sondern sie zeigt, dass etwas Grundsätzlicheres schief liegt in unserer Beziehung zur Rechtsprechung. Dazu wendet Röggla sich jenen zu, die vom Publikumsrang aus beobachten: dem pensionierten Juristen, dem Bloggerklaus und der Omagegenrechts. Dazu stellt ein bewusst vage bleibendes »Wir« Fragen, passt auf, diskutiert und kommt doch nicht ganz hinterher. Dieses »Wir« setzt sich zum einen aus den fiktiven Beobachterinnen und Beobachtern zusammen, zum anderen vertritt es den interessierten Staatsbürger an sich. Der Prozess selbst bleibt ein zukünftiger, ganz so, als sei er noch nicht abgeschlossen oder als sei es eine Zumutung, in der Vergangenheitsform über ihn zu sprechen. Trotz Urteil löst sich der Fall nicht auf, bleibt mitten unter uns. Und dann geht der Alltag einfach weiter. Noch ein Übergriff, noch ein Mord, noch ein Massaker. Kathrin Röggla bietet in ihrem Roman ein bewegliches Panorama dieses »Jahrhundertprozesses«, dessen Hintergründe, ginge es nach dem hessischen Verfassungsschutz, noch bis ins Jahr 2134 unter Verschluss bleiben sollten. Die Autorin führt den Prozess nicht einfach noch einmal zwischen zwei Buchdeckeln, um ein eigenes Urteil zu fällen. Der Roman ist ebenso die Einsicht über die Grenzen von Literatur gegenüber dem Recht wie ein Appell über das Schreiben hinaus: »Der Prozess hat aus seiner Versteinerung nicht mehr herausgefunden, schon gar nicht mit sprachlichen Mitteln.« Eyck-Marcus Wendt


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