Lucy Fricke
Die Diplomatin. Berlin: Claassen 2022. 254 S., 22 €
Lucy Fricke.
Fred ist seit 20 Jahren Diplomatin, sehr erfahren, trotzdem fällt es ihr schwer, den Tag der Deutschen Einheit auszurichten: erst in Montevideo, dann in der Türkei. Während der Vorbereitungen wird im sicheren Uruguay die Tochter von prominenter Presse-Elite entführt. Fred kümmert sich, dennoch wird ihr Verhalten als mangelhaft eingestuft. Es folgt die Versetzung in die Türkei. Auch hier kümmert sich das Personal um ihre emotionalen Lagen und Bedürfnisse, mittels Steaks, Granatapfelsaft und treffenden Worten. Denn Fred reist nunmehr ohne MAP, den »man
at the pool«. Hier wird sie der Unmenschlichkeit und Duldsamkeit ihrer eigenen und der türkischen Regierung gewahr. Beide lassen Unschuldige verhaften. Eine aktivistische Künstlerin und ihr Sohn sind diejenigen, die Freds diplomatisches Geschick herausfordern, auch der Journalist, der in Montevideo ihre Karriere hätte zu Fall bringen können, bedarf Freds Verstand und Armen. Am Ende werden überzeugend Regeln gebrochen und Systeme ausgehebelt, weil eine ihre Macht für die Gerechtigkeit zu nutzen weiß. Frickes Sprache ist nah an den Figuren. Wie bereits in »Takeshis Haut« dringt Fricke in eine Berufswelt in all ihrer Komplexität und ihren Verantwortlichkeiten ein. Wie bereits in ihren vier vorhergehenden Romanen schreibt Fricke über Klasse: Sie spürt deren
Einschreibungen in Körper, Verhalten und Gedankenwelt auf und schreibt sie als selbstverständlichen Anteil ihrer Figurenwelten und -konstellationen. Fricke ist ein politisch wichtiges und eindringliches Buch gelungen, das aufzeigt, dass Regeln genutzt und umspielt werden können. Suse Schröder