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Mahir Guven: Zwei Brüder

Mahir Guven: Zwei Brüder

Mahir Guven: Zwei Brüder. 282 S.

Der große Bruder steuert sein Uber-Taxi durch Paris, seine Beobachtungen gesellschaftlicher Schieflagen – exemplarisch für ganz Frankreich und andere Industrieländer – sind klarsichtig und nüchtern. Der kleine Bruder arbeitet als Pfleger in einem Krankenhaus, sein Abschied aus dem bekannten Leben am Rande der französischen Hauptstadt beginnt mit dem Gedanken, dass der Herzpatient, der da auf dem OP-Tisch liegt, einfach zu fett ist, und endet mit der heimlichen Ausreise nach Syrien. Der ratlose Vater und der ältere Bruder hören drei Jahre nichts von ihm. Bis er eines Tages wieder vor der Tür steht. Mahir Guvens Debütroman erschien 2017 in Frankreich unter dem Titel »Grand frère« und erhielt im Folgejahr den Prix Goncourt für das Beste Debüt, den wichtigsten Literaturpreis für ein Erstlingswerk im französischsprachigen Raum. Und das völlig zu Recht. Nach den Terroranschlägen von Paris ist die Frage nach dem Warum im Bewusstsein der Grande Nation noch immer dringlich. Guven bereichert mit »Zwei Brüder« den Kanon an literarischen Katalysatoren um zwei Stimmen aus dem Inneren einer Familie mit »Migrationshintergrund«. Die französische Mutter ist früh verstorben. Der syrische Vater spricht ein eigenwilliges Französisch und ärgert sich als langjähriger Taxi-Fahrer über die Konkurrenz durch moderne Fahrdienstleister. Aber ist der kleine Bruder wirklich ein Terrorist? Abwechselnd kommen beide Brüder, die übrigens bis zum Epilog namenlos bleiben, in Monologen, Dialogen und reflektierenden Passagen zu Wort. Auch wenn der rüde Jargon zu Beginn etwas ungewohnt ist, überzeugt der konsequente, nie überspitzte Stil auch in der deutschen Übersetzung. Der Rhythmus, der stellenweise an Sprechgesang erinnert, macht schier süchtig und hält die Spannung bis zum Schluss. Jennifer Ressel


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