anzeige
anzeige
Mark Lehmstedt

Mark Lehmstedt

Fotos aus dunkler Vergangenheit

Mark Lehmstedt. 288 S.

Als vor einigen Jahren im Bertelsmann Verlag die Anthologie der P.E.N.-Autoren »Menschen sind Menschen. Überall« erschien, war es insbesondere der Brief eines Hitlerjungenführers an den Autor Wieland Herzfelde, der die jugendliche Zielgruppe aufwühlte. Denn die Sprache sprach für sich. Nicht minder überzeugt von der Wirkung eines Dokuments ist Herausgeber und Verleger Mark Lehmstedt. Auch er setzt in »Leipzig wird braun« auf das Original.Natürlich sind auch hier die Bilder Nachrichten. Obgleich eine Reihe von ihnen eher Stadtlandschafts-Kulisse oder atmosphärische Beigaben zur Vermittlung des Alltags in der viertgrößten Stadt des im Entstehen begriffenen NS-Staates sind. Doch diese Aufnahmen machen das Buch aus. Die abgezirkelte Geometrie der Machtinszenierungen und die ewigen Huldigungsbilder würden sonst schnell ermüden. Deutlich wird: Schwarz-weiß malte das Regime. Das zeigen diese Abbildungen, die von Aufmärschen und Kundgebungen gemacht wurden: Adolf Hitler vor Leipzigs Völkerschlachtdenkmal, Adolf Hitler vor dem Neuen Theater. Zum Gauparteitag der Sachsen fährt er im offenen Wagen durch die Stadt. Von Hunderttausenden wird er frenetisch gefeiert. Leipzigs Stadtverordnete haben bereits im April 1933, nachdem Hitler erst wenige Wochen im Amt war, den Beschluss gefasst, die Süd- und die Zeitzer Straße in Adolf-Hitler-Straße umzubenennen (getauft hat sie das heutige Volk in »Adolf-Südknecht-Straße«). Bereits am 1. April wurde auch in Leipzig zum Boykott »Kauft nicht bei Juden!« aufgerufen. Eine Veranstaltung, die kein Aprilscherz war und die spätere Reichspogromnacht schon albtraumhaft ahnen ließ. Der Mob war auf der Straße. Die SA besetzte die Eingänge der Kaufhäuser Gebr. Held in der Merseburger beziehungsweise Jokel in der Karl-Heine-Straße. Beide Kaufhäuser wurden daraufhin geschlossen. Dass sie auch heute wieder geschlossen sind, ist ein anderes Kapitel deutscher Geschichte. Aber natürlich liest der heutige Betrachter dieses frühere Kapitel mit anderen Augen, wenn die Fotografien gleichsam auch die Gegenwart wachrufen. Und Gegenwart gibt es allenthalben. Ralph Grüneberger


Weitere Empfehlungen