Marlen Pelny
Liebe / Liebe. Wien: Haymon Verlag 2021. 216 S., 19,90 €
Marlen Pelny.
»Ich fühlte mich belagert und eingekreist von einem fiebrigen Etwas, das sich klebrig an mich presste und nicht mit sich reden ließ.« Sascha findet keine Sprache für das, was ihr geschieht. Sie wächst in einer Hochhaussiedlung am Rande der Stadt auf, mit einer Mutter, die zwar physisch da, ansonsten aber komplett abwesend ist, die meiste Zeit am Fenster steht und Ausschau nach dem Vater hält. Es herrschen aggressive Sprachlosigkeit und stumme Gewalt. Niemand erklärt irgendetwas und Sascha stürzt in eine Verzweiflung, die sie nicht begreift. Warum tun die Besuche bei Papa immer so weh und warum tut Mutter nichts, auch dann nicht, wenn der Vater zurückkommt und aus den schmerzlichen Besuchen eine allabendliche Tortur wird – Papas »Gute-Nacht-Kuss«?
Sie hat es doch gesehen.
»Liebe / Liebe« ist eine brutale wie zarte Erkundung dessen, was sich hinter diesem Wort alles verbergen kann. Die Trennung im Titel ist programmatisch. Denn nachdem Sascha mit 14 Jahren zu ihrem Großvater kommt, fängt sie an zu begreifen – was ihr geschehen ist und dass es auch anders geht. Sie findet eine liebevolle neue Familie bei dem Großvater, der ebenfalls einen Wandel hinter sich hat, mit dem Hund Rosa und ihrer Freundin Charlie. Weit weg von der Vergangenheit, die
sie dann doch einholt und mit der sie als junge Erwachsene noch einmal konfrontiert wird.
Marlen Pelny hat eine Coming-of-Age-Geschichte geschrieben, über verletzte Heldinnen, die den Mut aufbringen, mit den Narben der Vergangenheit zu leben. Sie schafft eine durchdringende wie poetische Sprachwelt, die nah an ihrer Figur ist. Auch wenn manchmal zu viel Pathos mitschwingt und die Bewältigung der Vergangenheit Spuren einer fast filmischen Action-Inszenierung trägt, mit Selbstjustiz, Rache und klarer Trennung zwischen Gut und Böse, ist es eine im besten Sinne verstörende Lektüre über familiäre Abgründe, die zugleich ermutigen will, Wege heraus zu finden Martina Lisa