Martin Becker: Warten auf Kafka

Mitunter gleicht das Warten einem vergeblichen Ausharren. So ergeht es Becker, der in einem Prager Nonstop sitzt – einer Kneipe, die rund um die Uhr geöffnet hat – und auf die große Eingebung über die tschechische Seele wartet. Schon das Lokal mit seinen schmutzigen Fenstern und blinkenden Spielautomaten zeugt von einer gewissen Aussichtslosigkeit. Als eine spontane Kneipenbekanntschaft dann verspricht, Kafka in die Kneipe zu bringen, keimt für kurze Zeit Hoffnung auf. Auch wenn der Trinkkumpan einräumt, er könne lediglich den besten Freund von Kafkas Urenkel an den Tresen lotsen. Natürlich weiß Martin Becker, dass Kafka keine Kinder, geschweige denn Enkel oder Urenkel hatte. Aber er hat ein gutes Gespür für skurrile Alltagssituationen, wie sie in der tschechischen Literatur nicht gerade selten vorkommen. »Warten auf Kafka« ist ein subjektiver und unterhaltsamer Blick auf diese Literatur. Becker beschreibt seine Reisen durch Tschechien. Er fährt nach Nymburk, wo der junge Bohumil Hrabal in der Brauerei seines Adoptivvaters dem Leben die ersten Geschichten ablauschte. Er wandert durch das magische Prag, wie es einst Lenka Reinerová heraufbeschworen hat. Und er versucht, dem allgegenwärtigen Kafka-Hype auf den Grund zu gehen. Das Buch zeigt dabei Qualitäten, die auch der tschechischen Literatur zu eigen sind: Lebensnähe, gedankliche Tiefe und einen Sinn fürs Tragikomische. Becker ist ein sachkundiger Schwärmer, der die tschechische Literatur kennt wie kaum ein anderer. Er würdigt Klassiker wie Jaroslav Hašek, den Vater des braven Soldaten Schwejk, aber auch zeitgenössische Schriftsteller wie Jaroslav Rudiš oder Marek Šindelka. Hier liegt der einzige Wermutstropfen: Gerade über diese jüngeren Autoren hätte man sich einige Zeilen mehr gewünscht. Denn im Gegensatz zu Größen wie Hrabal oder Hašek warten viele dieser Autoren noch auf den großen internationalen Durchbruch. Hoffentlich nicht vergeblich. Tino Dallmann